Am Forschungsreaktor in Garching FRM II in Bayern hat es einen Zwischenfall gegeben: Obwohl der Reaktor in der Corona-Krise
stillsteht, ist radioaktives C-14 ausgetreten. Zwar ist ein Grenzwert überschritten – aber eine Gefahr für die Menschen gibt es laut
Betreiber nicht.
Am Forschungsreaktor FRM II in Garching bei München ist Radioaktivität ausgetreten. Der Jahresgrenzwert des radioaktiven Nuklids C-14 sei überschritten worden, teilte die Technische Universität München als Betreiberin auf ihrer Homepage mit. Es sei eine „geringfügige Überschreitung“ des in der Betriebsgenehmigung festgelegten Wertes bei der C-14-Ableitung über den Kamin in die Atmosphäre festgestellt worden. Für Menschen und Umwelt habe zu keiner Zeit Gefahr bestanden, betonten die Betreiber sowie das bayerische Umweltministerium als atomrechtliche Aufsichtsbehörde.
Der Jahresgrenzwert für den FRM II sei um rund 15 Prozent überschritten worden, sagte FRM-II-Sprecherin Anke Görg auf Anfrage am Samstag. Bei einer Ausschöpfung des Grenzwertes liege die theoretische Belastung der Bevölkerung bei maximal drei Mikrosievert. Das sei weniger als der Wert, dem ein Patient bei einer Röntgenaufnahme beim Zahnarzt ausgesetzt sei. Er entspricht laut Technischer Universität zugleich einem Prozent der laut Strahlenschutzverordnung zulässigen jährlichen Strahlendosis von 300 Mikrosievert, die der Bevölkerung aus Ableitungen radioaktiver Stoffe mit der Luft zuzumuten sei. Der für den FRM II individuell festgelegte Grenzwert für C-14 wiederum liege weit unterhalb des gesetzlich vorgegebenen Wertes.
Wegen der Corona-Beschränkungen ist der Betrieb des Reaktors seit 17. März auf unbestimmte Zeit ausgesetzt, da Gastwissenschaftler nicht vor Ort arbeiten können. Welche Auswirkungen der Vorfall für den weiteren Betrieb habe, sei offen. Darüber müsse das Umweltministerium in Bayern entscheiden. Dieses teilte mit, es habe einen Bericht zum Ereignis, dessen Ursachen und Abstellung angefordert. Der Reaktor werde nur mit Zustimmung des Ministeriums wieder anfahren. „Beim Betrieb des Forschungsreaktors Garching hat der Schutz der Bevölkerung und der Umwelt oberste Priorität“, betonte das Ministerium in München.
Die Meldung sei nach der atomrechtlichen Meldeverordnung in die „Kategorie E“ als eilbedürftig eingestuft worden, habe aber nach der internationalen Bewertungsskala (INES) die Stufe 0, das stehe für keine oder eine sehr geringe sicherheitstechnische Bedeutung. Die Emissionen fanden bereits vom 20. bis 26. März sowie vom 2. bis 7. April statt. Im April sei der erhöhte Wert aus dem ersten Quartal bei der routinemäßigen Überprüfung durch das Bundesamt für Strahlenschutz und das eigene Labor des FRM II aufgefallen. Der Wert habe noch unter dem in der Betriebsgenehmigung festgelegten Grenzwert gelegen, dennoch sei auf eine monatliche Auswertung umgestellt worden. Am Donnerstag habe die Gesamtauswertung dann den überhöhten Wert erbracht. Aus Wetterdaten der Tage mit C-14-Emissionen sei berechnet worden, dass der Niederschlag auf dem Betriebsgelände des FRM II oder in unmittelbarer Umgebung stattgefunden haben müsse.
Das C-14, das etwa in der Archäologie zur Altersbestimmung organischer Materialien benutzt wird, hat laut Görg eine Halbwertzeit von 5730 Jahren. Am FRM II entsteht es in Form von Kohlendioxid bei einer Kernreaktion im Reaktorbecken, das auch beim Stillstand des Reaktors gefüllt ist. Der Vorfall ereignete sich bei der routinemäßigen Reinigung des dortigen sogenannten Schweren Wassers. Dabei wird das C-14 über Ionenaustauscherharze gebunden, die dann getrocknet werden müssen. Ein individueller Fehler bei der Montage der Trocknungseinrichtung habe die Ableitung des C-14 verursacht. Nach der Überschreitung der Werte seien alle Trocknungsvorgänge unverzüglich eingestellt worden. Bereits 2012 war bei dem Vorgang C-14 frei geworden, allerdings unter dem Grenzwert. Schon damals sei das Verfahren verbessert worden, sagte Sprecherin Görg.
Viele Wissenschaftler warteten derzeit dringend auf das Wiederanfahren des FRM II, der als eine der leistungsstärksten Neutronenquellen weltweit auch für die Industrie und die Medizin bedeutsam ist, sagte Görg. Es gebe auch schon Anfragen für Forschungsprojekte zum Coronavirus. Der FRM II ist wegen der Nutzung von hochangereichertem Uran umstritten. Atomgegner, Umweltschützer und Grüne kritisieren dies seit langem und forderten die Abschaltung, da dies der Betriebsgenehmigung von 2003 widerspreche. Sie sprechen von waffenfähigem Material. Derzeit gibt es Fortschritte bei der Suche nach einem neuen, niedriger angereicherten Brennstoff. Wegen der Einleitung von potenziell schwach radioaktivem Wasser in die Isar hatte es im vergangenen Jahr Bürgerproteste und Einwendungen gegeben, die in einem Anhörungsverfahren mit Umweltschützern, Anwohnern und Behörden erörtert wurden. Es seien aber keine Klagen eingereicht worden, die Frist sei inzwischen abgelaufen, sagte Görg.
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