Wäre es nach ihm gegangen, hätte Justus Schollmeier eher in der Metropole eine Pharmazeutenlaufbahn eingeschlagen. Doch als sein Vater starb, sprang er ins kalte Wasser und übernahm kurz nach seinem Examen die Verwaltung der Fuldaer Altstadt-Apotheke am Markt. Jetzt, mit 28, ist er Pächter und muss sich noch durch viele Fallstricke kämpfen, die der Alltag bereit hält.
Sein Vater Stephan Schollmeier eröffnete die Apotheke 1995. „Als kleiner Junge fand ich es sehr interessant, wie die Kunden meinen Vater gesehen haben. Ich fand es bewundernswert, wie er zu den Leuten war, er hat alle gleich behandelt, egal welchen Beruf sie hatten oder woher sie kamen.“ Doch war es für Justus nicht ausgemacht, in die Fußstapfen des Seniors zu treten. „Ich war ein Jahr als Austauschschüler in Argentinien und reiste nach dem Abitur erst durch Europa, später durch Australien und Neuseeland. Dabei lernte ich viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen kennen und hab mir von ihren Berufen erzählen lassen.“ Die Pharmazie hinterließ schließlich doch den größten Eindruck.
Schollmeier bewarb sich für einen Studienplatz in Psychologie und Pharmazie in ganz Deutschland. Das schien erst nicht zu klappen, aus der Not heraus suchte er weiter in Österreich, bis dann doch noch aus Regensburg eine Zusage kam. „Ich wäre lieber in eine Großstadt gegangen, und die Universität ist auch keine Perle“, sagt er. Doch die Stadt sei schön, hier habe er einen großen Freundeskreis gefunden.
Um seinen Horizont zu erweitern, wählte Schollmeier ganz unterschiedliche Stationen für sein Jahrespraktikum. Die ersten sechs Monate arbeitete er für Apotheker ohne Grenzen. „Schon an meinem zweiten Arbeitstag flog ich nach Mexiko und war zwei Wochen dort. Das Projekt habe ich während meiner ganzen Zeit in der Organisation vor Ort und vom Büro in München aus betreut und bin noch immer darin involviert.“ Dazu kümmerte er sich mit um die Außendarstellung der Hilfsorganisation und machte pharmazeutische Recherchen. „Wenn zum Beispiel gemeldet wurde, dass auf den Philippinen die Ampullen ein und desselben Medikaments unterschiedlich groß und unterschiedlich befüllt waren, fragte ich nach, was da los ist.“
Für das zweite Halbjahr zog es Schollmeier in die Hauptstadt zur BerlinApotheke. „Ich hab hier im Labor und im HV viel gelernt. Das war ein ganz junges Team, die Mitarbeiter waren äußerst kompetent. Die Weiterbildung wurde sehr groß geschrieben. Die Spezialisierung auf HIV, Hepatitis C und Substitutionstherapie fand ich spannend.“
In Berlin wäre er auch gerne geblieben. Doch im Juli 2016 verstarb Schollmeier Senior. Die Erbengemeinschaft, der auch Mutter und Sohn angehörten, konnte für fünf Monate einen Apotheker als Verwalter engagieren. Am 28. November legte Justus sein Examen ab. Es dauerte noch ein paar Wochen, bis die Approbationsurkunde auch offiziell aus ihm einen Apotheker machte. Am 23. Dezember arbeitete er zum ersten Mal in der Altstadt-Apotheke, zum Jahreswechsel übernahm er die Geschäfte zunächst als Verwalter. „Wir haben dann erst einmal gemeinsam gesehen, wie es anläuft“, berichtet Schollmeier. Zum 1. August wechselte er in die neue Funktion des Pächters, wenige Tage nach seinem 28. Geburtstag.
Das Studium habe ihn auf den Alltag als Leiter einer Apotheke nicht vorbereitet. „Zum Beispiel das Personalmanagement: Wie finde ich die richtige Ansprache gegenüber Mitarbeiterinnen, die ich zum Teil schon mein Leben lang kenne? Oder wie sieht die Zusammenarbeit mit Ärzten und Pflegediensten aus? So was lernt man mit der Zeit, da muss jeder seinen eigenen Weg finden.“ Anfangs habe er 60 Stunden in der Woche gearbeitet. „Ich musste mich erst in die Abläufe einfinden.“
Im täglichen Geschäft gebe es viele Fallstricke zu überwinden. „Ich tu mich noch schwer, die Angebote der Pharmafirmen danach zu deuten, was sich rechnet und was nicht. Ich hab zum Beispiel noch nie eine Allergie- oder Wintersaison in leitender Funktion mitgemacht und weiß nicht, was und wie viel bevorratet wird.“ Seine Mutter sei eine große Stütze, bekennt Schollmeier: „Sie hat schon bei meinem Vater den Einkauf gemacht. Dazu ist sie sehr geschäftstüchtig, arbeitsam und fleißig und einfach die wichtigste Ansprechperson. Ohne sie hätte ich mir das alles gar nicht vorstellen können.“
Mittlerweile sei die Arbeitsbelastung auf ein verträgliches Maß zurückgegangen. Doch gelte es nach wie vor, die Altstadt-Apotheke in ruhigere Gewässer zu bringen. „Die letzten beiden Jahre waren sehr turbulent, nicht nur wegen der schweren Erkrankung meines Vaters. Eine Mitarbeiterin fiel für ein Vierteljahr aus, eine andere wurde schwanger. Und dann gab der Arzt hier im Haus aus Altersgründen seine Praxis auf, mit einem Schlag kamen auch seine Patienten nicht mehr mit ihren Rezepten zu uns.“ Zumindest hier kann Schollmeier schon Entspannung melden: „Mittlerweile ist eine Frauenärztin mit ihrer Praxis in die Räume umgezogen, die Zusammenarbeit mit ihr ist sehr gut.“
Ganz viel Zuspruch erhält der Apotheker von den Stammkunden. „Viele kennen mich schon aus Kindheitstagen. Sie reisen zum Teil aus einem Umkreis von 25 Minuten Entfernung an.“ Nicht alle wüssten schon, dass sein Vater gestorben sei. „Wenn einem älteren Herrn dann in der Offizin die Tränen in den Augen stehen, ist das schon ein berührender Moment.“
Seine Berufswahl habe er nie bereut. „Apotheker zu sein ist spannend, weil die Tätigkeit sehr komplex und vielfältig ist“, bekundet Schollmeier. „Die Mischung aus Pharmazie, Betriebswirtschaft und Personalverantwortung macht mir Spaß.“ Sein Berufsleben in Fulda unterscheide sich schon sehr von seiner Zeit in Berlin. „Hier hat man ein ganz anderes Standing und baut viele persönliche Beziehungen zu den Kunden auf.“ Dafür sei es in der Hauptstadt spannender und pharmazeutisch abwechslungsreicher zugegangen. Doch die Altstadt-Apotheke mit der BerlinApotheke zu messen, sei ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. „Auch in einer kleinen Apotheke gibt es genug zu tun.“
Doch denkt der 28-Jährige weit über den Tag hinaus: „Es wird sehr schwer sein, in den nächsten 30 bis 40 Jahren eine inhabergeführte Apotheke zu betreiben. Die Zeit nimmt ihren Lauf. Man muss sich spezialisieren und eine Nische finden, mit der man wirtschaftlichen Erfolg hat. Auch den Trend zur Filialisierung wird man nicht aufhalten können.“ Gespannt sei er, was sich die Politik noch einfallen lasse. „Es ist nicht sehr motivierend, wie unsere Anliegen da gehandhabt werden. Da sieht man erst, wie ohnmächtig man ist.“
Sein Vater fehle ihm als Ratgeber schon sehr. „Gerne hätte ich mit ihm zusammengearbeitet.“ Aber auch so sei er als Vorbild noch an jedem Tag präsent. „Nach Fulda zurückzukommen, war überhaupt nicht der Plan. Aber manchmal hat das Leben seine eigenen Regeln. Natürlich bleibe ich flexibel und offen für alles.“
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