Im Spätsommer schloss die Stühlinger Apotheke der Familie Thewes in Freiburg. 116 Jahre lang versorgte die Apotheke die Freiburger mit Arzneimitteln. Seit Dezember steht nun in den alten Regalen Absinth statt Medizin. 80 Sorten Absinth, der auch „grüne Fee“ genannt wird, können in der „Alten Apotheke – Absinth und Spirituosen“ nach einem traditionellen Trinkritual verkostet werden.
Seit einiger Zeit sei er schon auf der Suche nach einer passenden Location gewesen, erzählt der Geschäftsführer der Rueverte GmbH, Alfred Rabold. Denn bis vor Kurzem wurde das noch recht seltene Getränk von dem Unternehmen, dessen Sortiment nach eigenen Angaben rund 200 Absinth-Sorten und 150 Sorten anderer Spirituosen umfasst, ausschließlich online vertrieben. Die Räume der Stühlinger Apotheke erschienen ihm perfekt für eine Spirituose wie Absinth, die ursprünglich als Heilmittel erfunden wurde. Doch für die Wahl gab es auch persönliche Gründe: „Ich kenne die Apotheke bereits seit meiner Kindheit“, berichtet Rabold. Daher habe er sofort zugeschlagen, als ihm die alte Apotheke angeboten wurde.
Die alte Einrichtung aus den 1950er Jahren wurde weitestgehend übernommen. Nur die Regale seien etwas aufpoliert und die Lampen aus technischen Gründen ausgetauscht worden. „Wir wollten das Erbe der Apotheke ehren und das historische Flair erhalten“, sagt der Absinth-Experte. „Deshalb haben wir uns auch für den Namen „Alte Apotheke“ entschieden, denn es soll nie vergessen werden, was einmal vor uns war.“ Und so stehen hinter zwei langgezogenen, dunklen Holztresen im alten braunen Holzregal die verschiedensten Flaschen und Gläser, allerdings nicht mit Arzneien, sondern mit Absinth.
Viele ehemalige Apothekenkunden, die seit der Eröffnung vorbeigekommen sind, hätten sich auch sehr darüber gefreut, ihre Apotheke zumindest teilweise in dem neuen Laden wiederzufinden. Auch der letzte Besitzer, Pharmazeut Rainer Thewes, sei begeistert gewesen, als er erfahren hat, was aus seiner Apotheke wird, erzählt Rabold.
Alle 80 Absinth-Sorten in der Alten Apotheke sind laut Rabold handwerklich gefertigt und stammen aus kleinen Brennereien aus ganz Europa, die meisten davon Familienbetriebe. Neben der „grünen Fee“, wie Absinth auch genannt wird, sind dort auch gängige Brände wie Gin, Wermut oder Whisky und Liköre erhältlich. Feinschmecker finden eine Auswahl von edlen Armagnacs, Calvados und feinen Obstbränden. Neben dem Betrieb des Ladengeschäfts werden außerdem Verkostungen und Informationsabende rund um Absinth und Spirituosen veranstaltet.
Absinth geht ursprünglich auf eine Rezeptur zurück, die um das Jahr 1792 im schweizerischen Val-de-Travers im heutigen Schweizer Kanton Neuenburg entwickelt wurde. Er besteht aus Auszügen von Wermut, Anis, Fenchel sowie weiterer Kräuter mit einem Alkoholgehalt von bis zu 85 - 90 Volumenprozent. „Absinth ist ein hochinteressantes und wohlschmeckendes Getränk, das zu lange unter seinem Image gelitten hat – das wollen und werden wir ändern“, sagt der Geschäftsführer der Alten Apotheke. „Wir möchten Menschen zeigen, dass die grüne Fee ein komplexes, edles und vielschichtiges Getränk ist, von dem man nicht verrückt wird.“
Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts avancierte das Getränk – nicht zuletzt aufgrund des unschlagbar günstigen Preises – vor allem in Frankreich zum Liebling der Arbeiter und der Bohème. Zu den berühmten Absinth-Trinkern zählen unter anderem Charles Baudelaire, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Ernest Hemingway, Edgar Allan Poe, Oscar Wilde und Henri de Toulouse-Lautrec, der sogar das bekannte Bild „Die Absinthtrinkerin“ malte.
Zugleich stand das Getränk in dem Ruf, abhängig zu machen und schwerwiegende gesundheitliche Schäden nach sich zu ziehen. Als Ursache wurde der relativ hohe Gehalt der neurotoxischen Substanz Thujon vermutet, die in hohen Dosierungen Erbrechen, Magen- und Darmkrämpfe, Harnverhaltung, in schweren Fällen Benommenheit, Nierenschäden und zentrale Störungen, darunter auch Schwindel, Halluzinationen und Wahnvorstellungen, auslösen kann.
Ob tatsächlich das Thujon für die früher bei Absinth-Trinkern festgestellten gesundheitlichen Schäden verantwortlich zeichnet, wird heute angezweifelt. Absinth enthielt auch beträchtliche Mengen an Schwermetallsalzen und anderen bedenklichen Bestandteilen, die ganz gewiss dem Körper nicht zuträglich sind. Um dem Absinth das charakteristische Aussehen – milchige Trübung bei Verdünnung beziehungsweise Kühlung – und die typische grüne Farbe zu verleihen, wurden bisweilen Zusatzstoffe, wie Indigo, Anilingrün, Kupfersulfat, Kupferacetat und Antimontrichlorid hinzugefügt.
Ein zusätzliches Problem des Absinths des 19. Jahrhunderts war, dass der verwendete Alkohol oft minderwertig war. Rückblickend wird dies in Verbindung mit dem sehr hohen Alkoholgehalt als die vorrangige Ursache des im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verbreiteten so genannten Absinthismus angesehen.
Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs wurde die Spirituose 1915 in den meisten europäischen Ländern und in den USA verboten. Vordergründig wird dafür ein spektakulärer Mordfall eines Vaters an seiner Familie im Jahr 1905 in der schweizerischen Gemeinde Commugny verantwortlich gemacht. Der Weinbergarbeiter Jean Lanfray hatte im Alkoholrausch, der unter anderem von Absinth herrührte, seine schwangere Frau sowie seine 2- und 4- jährigen Töchter getötet.
Doch im Hintergrund setzten sich sowohl eine aufkommende Abstinenz-Bewegung als auch Wein-Produzenten, die ihre Fälle davon schwimmen sahen, für ein sukzessives Verbot von Absinth ein. Lediglich Spanien und Portugal verwehrten sich letztendlich dem Verbot. Auch England stellte den Verkauf nicht unter Strafe. Erst 1998 wurde Absinth in den meisten europäischen Staaten wieder erlaubt. Allerdings müssen heute bestimme Obergrenzen der Bestandteile strikt eingehalten werden. Für Absinth und Wermutwein gilt eine Thujon-Obergrenze von 35mg/l. In den USA sind es lediglich 10mg/l.
Viele würden Absinth-Trinken nur mit dem „Feuerritual“ verbinden, sagt Rabold. Dabei wird ein Zuckerwürfel mit Absinth beträufelt und angezündet. Sobald der Zucker karamellisiert ist, wird er dem Getränk zugefügt. „Damit verbrennt man aber die Aromen“, warnt er. In der Alten Apotheke wird deshalb auf das französische Trinkritual gesetzt. Stilecht, erklärt der Experte, genieße man Absinth, indem man Eiswasser aus einer „Absinth-Fontäne“, einem vasenförmigen Behältnis, ins Glas tropfen lässt. Dank dem sogenannten Louche-Effekt, bekommt er dabei seine typische Trübung.
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