Flut-Apotheke bleibt Ruine Julia Germersdorf, 28.05.2023 08:00 Uhr
Im Juli 2021 hat Apothekerin Inge Göttling über Nacht ihre Burg Apotheke in Altenahr verloren. Die Flut hat alles mitgerissen und komplett zerstört. Heute steht dort nur noch der Rohbau. Nach einer Übergangslösung in einer Containeranlage von Apotheker ohne Grenzen in Zusammenarbeit mit Action Medeor, ist sie eineinhalb Jahre nach der Katastrophe mit ihrem gesamten Team in eine neue Apotheke eingezogen.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli führte anhaltender Starkregen zur größten Naturkatastrophe von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Große Wassermassen überfluteten die Region und rissen selbst Gebäude nieder. Ebenfalls völlig zerstört wurde die Burg Apotheke in Altenahr. Inge Göttling hatte sie 2009 übernommen. Die 57-Jährige berichtet, dass Hochwasser in der Gegend immer schon ein Thema war. Auch 2016 war man dort schon betroffen – aber noch nie so schlimm. Aufgrund der Nähe zur Ahr habe man keine Elementarversicherung abschließen können.
Elf Meter Wasserstand
„Dicht bei der Apotheke ist ein kleiner schmaler Bach. An diesen schließt sich erstmal eine zwei oder gar drei Meter ansteigende Wiese an bevor noch eine Schutzmauer mit einer Spundwand kommt“, erzählt Göttling. Das Gebäude der Apotheke ist unterkellert. Wenn es also zu einem Anstieg des Wasserpegels kam, seien zuvor maximal die Garagen nass geworden. „Da waren wir auch damals drauf eingerichtet. Ich sagte noch beiläufig ‚räumt hoch, was hochzuräumen ist‘. Es schien nicht allzu ungewöhnlich. Es ist hier halt so.“ Allerdings habe niemand mit dieser Katastrophe gerechnet. „Wir hatten elf Meter Wasserstand. Elf. Das war zu viel. Das Gebäude ist bis in die zweite Etage komplett unterlaufen – das reinste Aquarium.“
„Die Situation vor Ort ist noch heute wirklich dramatisch.“ In Altenahr sei noch sehr vieles im Argen und nicht wieder aufgebaut. Vieles hänge in der Schwebe aus unterschiedlichsten Gründen. „Anfangs haben wir gedacht, ein bis eineinhalb, höchstens jedoch zwei Jahre – dann sieht das Ahrtal schöner aus als vorher. Aber weit gefehlt. Das wird fünf Jahre und länger dauern“, vermutet Göttling.
Wiederaufbau stagniert
Die Burg Apotheke ist im vergangenen Jahr 40 Jahre alt geworden. Gefeiert hat das niemand. „Da stand uns nicht der Sinn nach. Das Gebäude befindet sich im Rohbau. Eigentlich war klar, dass ich das wieder aufbauen möchte. Aber es handelte sich um Teileigentum, sodass ich auf eine Einigung zum Wiederaufbau mit den anderen Miteigentümern angewiesen war. Drei von vier wollten allerdings nach der Katastrophe raus und somit stand ich allein da.“
Die Apothekerin habe zwar jemanden neues gewinnen können, der an einem Wiederaufbau interessiert war, doch es sei zu Verzögerungen gekommen, die wiederum zu erneuten Überlegungen führten. Nun sei das Vorhaben stagniert. Aussichten, dass die Planung wieder ins Rollen gerät, gebe es derzeit nicht. „Die Burg-Apotheke wiederaufzubauen war lange mein Wunsch. Im Moment ist mir aber ehrlich gesagt ziemlich die Luft ausgegangen. Irgendwann kann man nicht mehr.“ Göttling habe „nur gegen Windmühlen gekämpft“. Es sei „keiner da, der wirklich mitzieht.“
Rettungsanker „Filiale“
Bereits vor der Flutkatastrophe habe die Apothekeninhaberin an die Eröffnung einer Filiale gedacht. Da nun der Plan, die Burg-Apotheke wieder aufzubauen „offen gesagt, in die Hose gegangen ist“, habe Göttling parallel ihr Vorhaben der Filiale gemeinsam mit einem Investor weiterverfolgt. „Heute bin ich heilfroh drum, weil wir nun in dieser Apothke sitzen – die Ahrtal Apotheke in Ahrbrück, die eigentlich Filial-Apotheke werden sollte.“
Bei dem Gebäude handelt es sich um einen Neubau, nur ein paar Kilometer von Altenahr entfernt. Auch eine Arztpraxis hat hier neue Räumlichkeiten für sich gewinnen können. Die alten sind ebenfalls unter der Flut zusammengebrochen und konnten bisher nicht wieder aufgebaut werden.
Im Februar, also etwa eineinhalb Jahre nach dem Geschehen, konnte Inge Göttling mit ihrem Team die Ahrtal Apotheke beziehen. „Alle Mitarbeiter:innen sind geblieben und haben auch in der schlimmsten Zeit eng zusammengehalten. Alles war extrem kräftezehrend. Sie waren und sind mir eine riesige Hilfe.“
Mentale Belastungsgrenze
„Das Erste, was mir damals nach der Flut in den Sinn gekommen ist, war, dass die Leute nichts mehr haben. Und es war so – die Menschen standen vor mir und fragten mich, wie sie an ihre Medikamente rankommen. Mein Gedanke war nur, sie zu versorgen. Was anderes habe ich nicht überlegt.“ Göttling und ihre Mitarbeiter:innen haben die ersten Wochen nach der Katastrophe ohne Entlohnung gearbeitet und Medikamente vom Katastrophenschutz verteilt.
„Wir waren im Schockzustand und haben einfach irgendwie funktioniert. So war das für alle. Heute reden wir viel und immer wieder über diese Zeit. Das hilft, ist aber lange noch nicht abgearbeitet. Viele sind mental an ihre Belastungsgrenze gekommen und jeder steckt das unterschiedlich weg. Da gibt es die komplette Bandbreite. Ich merke es an mir selbst – ich bin sehr viel dünnhäutiger als noch vor der Katastrophe.“