Flüchtlingsapotheker

„Wir mussten unsere Apotheke zurücklassen“ Maria Hendrischke, 25.09.2015 09:23 Uhr

Berlin - 

Das Apothekerehepaar Haitham und Najwa Roumia ist im vergangenen Dezember mit seiner kleinen Tochter aus Syrien geflüchtet. Als Angehörige der christlichen Minderheit im Land fürchteten sie um ihr Leben. In Deutschland angekommen, bewarben sie sich in zehn Apotheken um einem Praktikumsplatz – und wurden zehn Mal abgelehnt. Mit der elften Bewerbung hatten sie schließlich Erfolg: Dirk Vongehr, Inhaber der Kölner Paradies-Apotheke, gab den beiden eine Chance.

Im Dezember sei ihre die Apotheke in Damaskus konfisziert worden, berichtet Haitham Roumia. Er wurde drei Tage im Gefängnis festgehalten, konnte aber seine Freilassung aushandeln. Danach war für ihn klar, dass er sein Heimatland verlassen müsse. „Meine Frau hatte nicht nur in unserer Apotheke, sondern auch als Produktspezialistin für ein französisches Pharmaunternehmen gearbeitet“, erklärt Roumia. Seine Familie habe auf diesem Weg ein Schengen-Visum für Frankreich erhalten, mit dem sie nach Deutschland einreisen konnte.

Dort seien sie zunächst in der Nähe Dortmunds in einem Flüchtlingslager untergekommen. Gemeinsam mit einer deutschen Betreuerin suchten sie nach Praktikumsplätzen in Apotheken. „Wir sind in zehn Apotheken gewesen, doch die haben uns abgelehnt. Sie sagten uns, dass sie nicht genug Zeit hätten, uns voll beaufsichtigt einzuarbeiten“, erzählt Roumia. „Aber dann waren wir zum Glück in der Paradies-Apotheke.“

„Ich war beeindruckt, wie gut ihr Deutsch nach nur drei Monaten im Land schon war“, erinnert sich Vongehr an das erste Treffen. Ihm sei das Paar gleich sympathisch gewesen. Daher habe er nicht lange gezögert, sondern beiden sofort einen Praktikumsplatz gegeben. „Das hat gerade gepasst, wir hatten gesucht“, sagt er. Haitham und Najwa hätten abwechselnd jeweils vier Wochen im März und April bei ihm gearbeitet. So habe sich immer einer der beiden um die damals nicht einmal zweijährige Tochter kümmern können.

Die Paradies-Apotheke habe schon zuvor Praktikanten aus dem Ausland aufgenommen. Deshalb hatte Vongehr keine Bedenken wegen bürokratischer Hürden. „Es gab letztlich auch keine Schwierigkeiten“, berichtet er. Vongehr hatte auch keine Bedenken, dass die Sprachbarriere ein zu großes Problem sein würde. Daher versteht er die Ablehnung seiner Kollegen nicht: „Haitham und Najwa sind zwar Asylbewerber, aber sie wollen in Deutschland bleiben und sich hier integrieren“, sagt er.

„Wir alle haben von der Begegnung profitiert“, betont Vongehr. Seine Mitarbeiter hätten aus erster Hand von der Lage in Syrien erfahren. Roumias Eltern befinden sich weiterhin in Damaskus. Von ihnen weiß er, dass ihr christliches Viertel täglich von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bombardiert werde. „Kein Ort ist sicher. Wer morgens das Haus verlässt, kann nicht sicher sein, dass er zurückkehrt“, sagt Roumia. Nur etwa einmal in der Woche habe er Kontakt zu seiner Familie in Syrien; nicht immer gebe es Strom und eine stabile Internetverbindung.

„Die beiden haben uns auch von ihrem Arbeitsalltag in Syrien erzählt und Bilder von ihrer Apotheke in Damaskus gezeigt“, sagt Vongehr. „Eigentlich ähneln sich deutsche und syrische Apotheken sehr“, berichtet Roumia. „Aber bei uns ist alles etwas kleiner und altmodischer.“

In seiner Apotheke in Damaskus habe er beispielsweise keinen Computer verwendet. „Wir mussten uns also vieles im Kopf merken“, sagt er. Zugleich seien in Deutschland die Richtlinien und Gesetze, denen Apotheken unterliegen, deutlich strenger.

In seiner Heimat würden Apotheker zudem Aufgaben übernehmen, die hierzulande Ärzten zufielen. „Es ist in der Regel so, dass Syrer bei leichteren Erkrankungen wie einer Erkältung zuerst zum Apotheker gehen“, berichtet Roumia. „Die Kunden erwarten vom Apotheker auch Hilfe; wenn ich sie immer zum Arzt geschickt hätte, wären sie nicht wiederkommen: In ihren Augen wäre das inkompetent“, erklärt er.

In der Paradies-Apotheken haben Roumia und seine Frau den Kollegen zunächst über die Schulter geschaut und sich alles zeigen lassen. Sie haben dabei das Warenlager und den Umgang mit dem Kassensystem kennengelernt. „Die Sprache war damals ein Hindernis; wir hatten gerade erst das Niveau B1 erreicht“, berichtet Roumia. Dagegen hätten sie fachlich kaum Schwierigkeiten gehabt: Pharmazie hatten die beiden auf Englisch studiert, so dass sie mit den Produktinformationen von Beginn an gut zurecht kamen.

Vorteilhaft seien die Arabisch-Kenntnisse des Ehepaars gewesen. „Arabischsprachige Kunden haben zielstrebig direkt Haitham oder Najwa angesteuert, um sich von ihnen beraten zu lassen“, berichtet Vongehr. Roumia hat sich darüber gefreut: „Ich bin froh, wenn ich Hilfe anbieten kann. Hoffentlich kann ich im nächsten Jahr noch mehr tun“, ergänzt er.

Denn Roumia wird auch sein Praktisches Jahr in der Paradies-Apotheke absolvieren; im Februar soll es losgehen. Seine Frau wird zeitgleich in einer anderen Apotheke in Köln-Porz beginnen. Bis dahin werden beide ihren Deutschkurs abgeschlossen haben.

Das dritte Staatsexamen ist neben sehr guten Deutschkenntnissen Voraussetzung, um mit einem ausländischen Pharmazieabschluss die Approbation erhalten zu können. „Haitham wird das schaffen“, ist Vongehr überzeugt. „Vielleicht wird er sich dann hier wieder selbstständig machen – und damit neue Arbeitsplätze schaffen.“