FAZ: Drogerien plus Versandhandel statt Apotheken APOTHEKE ADHOC, 22.09.2021 09:26 Uhr
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) bläst wieder einmal zum Angriff auf den Apothekenmarkt: „Ist das große Netzwerk für die Versorgung von Patienten noch zeitgemäß oder ein kostspieliges, mittelalterliches Relikt“, fragt der Autor in seinem Beitrag „Apotheken unter Druck“. Die Antwort liefert er gleich mit: Drogerien und Versandhandel sollten die Aufgabe gemeinsam übernehmen.
Das Versorgungsnetz der Apotheken sei riesig, und die damit verbundenen Kosten seien es auch, heißt es in dem Beitrag. „Ist das Apothekensystem Deutschlands seinen Preis wert? Oder wird es Zeit, dieses seit der kaiserlichen Trennung von Arzt- und Apothekenwesen existierende Versorgungssystem an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen?“
Als Experte kommt Professor Dr. Konrad Obermann von der Universität Heidelberg zu Wort. Er unterstellt dem Apothekenmarkt einen massiven Reformstau; die Kernprozesse bei der Arzneimittelversorgung seien heute fast genauso wie vor 30 Jahren. „Mehr Flexibilität und Wettbewerb, auch mit anderen potenziellen Arzneimittelanbietern wie Drogeriemärkten, Supermärkten und Versandapotheken, kann Bewegung in die starren Strukturen bringen und patientenorientierte Innovationen ermöglichen.“
Obermann ist von Hause aus Arzt, hat als Unternehmensberater (Boston Consulting) gearbeitet und als Gesundheitsökonom verschiedene Stationen absolviert (unter anderem Iges Institut). Aktuell ist er Partner bei der Unternehmensberatung Management4health, außerdem lehrt er an der Beisheim-Hochschule in Berlin und dem Mannheimer Institut für Public Health, das zur Universität Heidelberg gehört. Dort ist auch der Autor des Beitrages zu verorten: Jonas Prenißl ist freier Journalist und Research Assistant at Heidelberg Institute of Global Health.
Als zweiter Experte kommt in Prenißls Beitrag der Jurist Professor Dr. Sebastian Kluckert, Experte für Öffentliches Recht an der Universität Wuppertal, zu Wort. Er war Sachverständiger bei der Anhörung zum Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) und sieht die Rx-Preisbildung kritisch: „Die Abschottung des deutschen Marktes vor Preiskonkurrenz durch EU-ausländische Apotheken wird europarechtlich keinen Bestand haben. Fehlender Wettbewerb ist zunächst immer ein Umstand, der ein System zu teuer macht.“
Autor Prenißl rechnet nun vor, dass es viel mehr Apotheken gibt als Filialen von Edeka oder Rossmann – um gleichzeitig einzuräumen, dass der gesamte Lebensmitteleinzelhandel dann doch mit 34.000 Geschäften ungleich größer ist. Aber das Netzwerk sei eben aufwendig und verschlinge 12 Prozent des Listenpreises.
„Gesellschaftlich sollte bei einem solch hohen Kostenfaktor wie bei jeder hohen Investition kritisch hinterfragt werden: Bringt diese Ausgabe den gewünschten Vorteil?“ Prenißl führt Kritiker ins Feld, die sich daran stören, dass „hoch qualifizierte, gut bezahlte Apotheker lediglich den Patienten das Medikament heraussuchen und die Einnahmebestimmungen vom Computerbildschirm vorlesen“, und fragt: „Ist das Beratungsentgelt dann noch adäquat?“
Das „Aushändigen“ könnte nach seiner Ansicht auch von „deutlich weniger qualifiziertem, kostengünstigerem Personal durchgeführt werden, etwa auch in einer Filiale einer Supermarktkette oder einer Drogeriekette wie in den USA bei Walgreens“.
Apothekerinnen und Apotheker sollten ihre Zeit „für anspruchsvollere Tätigkeiten nutzen und damit den positiven gesamtgesellschaftlichen Effekt der Arzneimittelversorgung heben“, so der Autor weiter: „Apotheker könnten gewissermaßen als zweite Kontrollinstanz nach dem Arzt fungieren, die auch in komplizierten Fällen den Patienten wieder zurück zur Therapieanpassung an den Arzt verweist.“ Die Realität sei eine andere, Apotheker könnten gar nicht einsehen, welche Medikamente der Patient sonst noch einnehme. „Die Patienten müssen selber diese Information verbal den Apothekern mitteilen, erst dann kann deren Fachexpertise genutzt werden.“
Womit Prenißl wieder beim Thema ist: Zuverlässige Daten zur Beratungsqualität in den Apotheken wären aus seiner Sicht wichtig, „um in der aufkeimenden Debatte um das Apothekensystem die hohen Kosten zu rechtfertigen“. Er verweist auf das negative Abschneiden bei Warentest, wohingegen die Ergebnisse von Pseudo-Customer-Besuchen nicht veröffentlicht würden und Befragungen kein objektives Bild lieferten.
Die gute Erreichbarkeit der Apotheken ist für ihn kein Argument – auch nicht mit Blick auf die – aus seiner Sicht zu teuer bezahlten – Leistungen in der Corona-Krise: „Könnte nicht ein preiswerteres, flächendeckender und besser erreichbares Netzwerk etabliert werden, wenn etwa Supermarktketten und Drogerieketten auch erlaubt würde, bestimmte Medikamente zu vertreiben?“ Dazu komme der Versandhandel, der bis zur Haustüre liefere.
Und so sollte die Welt dann aussehen: Patienten, die ihre Medikamente seit Jahren nehmen und „keine Beratung brauchen“, können sich diese direkt im Supermarkt beim Wocheneinkauf mitnehmen oder zuschicken lassen. Die Apotheken können sich dann darauf konzentrieren, „eine intensive Beratung für komplexere Patientenfälle mit Mehrfachmedikation anzubieten“.