Gleichbehandlungsgesetz

Fast jeder Dritte erlebt Diskriminierung

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Berlin -

Frauen klagen über schlechtere Bezahlung als ihre männlichen Kollegen, Behinderte über die Benachteiligung bei der Jobsuche, Muslime über geringere Chancen auf dem Wohnungsmarkt, ein Ausländer kritisiert die verweigerte Aufnahme in ein Fitness-Studio oder eine Mutter das Still-Verbot in einem Café: Diskriminierung ist immer noch allgegenwärtig, obwohl 2006 das „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) eingeführt wurde.

Seitdem sind die Kontroversen um das Thema nicht verstummt. Was manche einen Sieg für die Menschenrechte nannten, war für andere entweder sinnlos und teuer, oder eben nicht konsequent genug. Am Dienstag soll nun nach zehn Jahren eine Bilanz gezogen werden. Wissenschaftler legen einen Evaluationsbericht vor.

Mit dem Gesetz sollte Benachteiligung aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, wegen einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität eingedämmt werden. Und das nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch im Zivilrecht, etwa bei der Anmietung einer Wohnung, oder im Alltagsleben, im Sportverein zum Beispiel.

Das Gesetz war nach langem Streit auf Druck der EU und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Zeiten der damaligen großen Koalition beschlossen worden. Der Anfang war holprig. Die Unterschrift des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler verzögerte sich, Nachbesserungen am Gesetzestext waren notwendig. Die Wirtschaft bezifferte die zusätzlichen Kosten auf 1,73 Milliarden Euro pro Jahr. Juristen befürchteten eine Klagewelle – dazu kam es aber nicht.

Nach einer Umfrage 2015 haben immer noch 31,4 Prozent der Menschen in Deutschland nach eigener Aussage in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierungserfahrungen gemacht, 14,8 Prozent wegen ihres Alters, 9,2 Prozent wegen ihres Geschlechts, 8,8 Prozent wegen ihrer Religion oder Weltanschauung. Die meisten Beschwerden betreffen die Arbeit, aber auch in der Freizeit, bei Behörden, im Gesundheitswesen oder eben auf dem Wohnungsmarkt wird Diskriminierung gemeldet.

Ein erster wegweisender Prozess 2007: Ein Betriebsrat zieht vor Gericht, weil die Frauen in einem Logistikunternehmen rund 300 Euro weniger verdienen als Männer – bei gleicher Arbeit. 2009 stellt das Arbeitsgericht Berlin fest, dass „Deutsch als Muttersprache“ eine diskriminierende Jobanforderung ist. 2010 wird eine Immobilienverwalter zu Schadenersatz verurteilt, weil er nicht an Schwarze und Türken vermieten will.

2013 stärkt das Bundesarbeitsgericht den Kündigungsschutz für Aidskranke und andere chronisch kranke Angestellte. 2016 kündigt Justizminister Heiko Maas (SPD) an, nach einem entsprechenden Gutachten die Rehabilitierung homosexueller Männer, die nach dem Paragrafen 175 verurteilt worden waren, voranzubringen.

Aber auch so etwas gibt es: Der EuGH entscheidet vor kurzem gegen sogenannte „AGG-Hopper“, die sich auf viele Stellen bewerben, um anschließend nach dem AGG eine Diskriminierung etwa aus Altersgründen einzuklagen.

Nach zehn Jahren AGG gibt es Reformbedarf, etwa wird immer wieder die Einführung eines Verbandsklagerechts gefordert. Damit könnten nicht nur einzelne Betroffene, sondern eben auch Organisationen wie die durch das AGG geschaffene Antidiskriminierungsstelle des Bundes vor Gericht ziehen.

Die Wirtschaft aber warnt vor weiteren Vorschriften, auch wenn sich ihr grundsätzlicher Widerstand gegen das Gesetz inzwischen entkrampft hat. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer fordert den Gesetzgeber auf, „sich mit weiterer Regulierung zurückzuhalten“. Ziel müsse ein „Klima der Offenheit und Toleranz sein, das nicht auf Angst vor Strafen, sondern auf kluge Argumente und positive Erfahrungen setzt.“

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