Experten: Impfstoffengpass wird Flüchtlingsproblem dpa, 17.09.2015 14:56 Uhr
Wo Menschen auf engstem Raum zusammenleben, haben Grippeviren leichtes Spiel. Das gilt auch für Unterkünfte der Flüchtlinge. Experten sorgen sich um den Impfschutz.
Impfexperten haben angesichts des anhaltenden Flüchtlingsandrangs vor Versorgungsproblemen bei Grippe-Impfstoffen gewarnt. „Die Verfügbarkeit ist die größte Herausforderung“, sagte Dr. Michael Pfleiderer vom für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Erfurt. Dort diskutieren bis Samstag rund 150 Fachleute auf einem Kongress der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten über die Vorbeugung von Grippe.
Bislang werde noch an Impfempfehlungen gearbeitet, die auf die aktuelle Flüchtlingssituation zugeschnitten seien, sagte der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (STIKO), Dr. Jan Leidel. „Das Problem brennt auf den Nägeln, die Länder wollen praktikable Vorgaben.“
Wegen des Zusammenlebens vieler Menschen auf engstem Raum in den Flüchtlingsunterkünften halte er die Impfung von Flüchtlingen für sinnvoll, sagte Kongressleiter Professor Dr. Peter Wutzler. Allerdings gelte das Prinzip der Freiwilligkeit bei Impfungen auch für Flüchtlinge. „Wir können da nicht einfach Pflichtimpfungen anordnen.“
Zudem sei ungewiss, ob die auf in Deutschland zirkulierenden Grippeviren abgestimmten Impfstoffe Flüchtlingen überhaupt einen ausreichenden Schutz böten. In deren Herkunftsländern seien meist andere Virustypen verbreitet. Bereits in der vergangenen Saison hatte der eingesetzte Impfstoff nicht optimal geschützt, weil sich der damals in Deutschland zirkulierende Virusstamm H3N2 noch nach Beginn der Impfstoff-Produktion genetisch verändert hatte.
Von den rund 70 Vakzinen auf dem Markt sind derzeit 14 von Lieferschwierigkeiten betroffen – das ist jedes fünfte. Probleme bereitet den Herstellern vor allem die Komponente gegen Keuchhusten und Polio. Betroffen sind daher vor allem die Kombinationsimpfstoffe für die Grundimmunisierung.
Für die diesjährige Grippeschutzimpfung hat das PEI bereits 17 Millionen Impfdosen freigegeben. Empfohlen wird die Impfung vor allem Risikogruppen wie Menschen ab 60 Jahre, chronisch Erkrankten, Pflegeheimbewohnern, Schwangeren und medizinischem Personal. Einige Fachleute plädieren auch für die Schutzimpfung bei Kleinkindern und wollen das in Erfurt ausführlich diskutieren. Der optimale Zeitpunkt ist Oktober bis November.
Jährlich sterben in Deutschland Tausende Menschen an der Virusgrippe. Labordiagnostisch bestätigt wird jedoch nur ein Bruchteil der Erkrankungs- und Todesfälle, weil Ärzte häufig auf einen Virusnachweis durch Labordiagnostik verzichten. In der Grippesaison 2014/2015 gab es rund 70.000 laborbestätigte Fälle von Influenza und 227 laborbestätigte Todesfälle.
Die Zahl der Grippetoten schwankt stark von Jahr zu Jahr. So starben nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) in der Saison 2012/2013 etwa 21.000 bis 29.000 Menschen an Grippe. Ein Jahr zuvor waren es 2500 bis 7400.