Kolumnisten fabulieren über Versandhandel Lothar Klein, 04.01.2017 08:08 Uhr
Mit seinem Urteil zur Zulässigkeit von Rx-Boni für ausländische Versandapotheken hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 19. Oktober die gesundheitspolitische Diskussion in Deutschland gehörig aufgemischt. Die Apotheker sind alarmiert, Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) preschte mit einem in der Koalition unabgestimmten Gesetzentwurf vor. Jetzt ist die SPD am Zug. Mittlerweile hat das Thema das politische Feuilleton auf seine ganz besonderer Art und Weise erreicht. In der FAZ und der Zeit beschäftigen sich deren Kolumnisten mit dem Versandhandel von Arzneimitteln.
In der FAZ schreit Autorin Lina Timm unter der Überschrift „Nasentropfen kommen jetzt mit der Post“ über ihre Sicht der Dinge zum Thema Versandhandel: Sie sei in ihrem Leben noch nicht auf den Gedanken gekommen, Medikamente im Internet zu bestellen. Wer so etwas tue, müsse wohl „durchgeplant krank“ werden. „Bei mir läuft es in der Regel so ab: Ich wache morgens mit einer verstopften Nase auf, schaue mit rasenden Kopfschmerzen in meinen Terminkalender und fluche das erste Mal“, so die Autorin. Auf dem Weg zur Arbeit fahre sie bei der Apotheke vorbei, zahle den Preis, „den sie da halt gerade haben, und bin zumindest für diese Erkältung versorgt“.
Sonst bestellt sie wie viele Bürger viele Sachen über das Internet. Arzneimittel bislang nicht. Seit ein paar Monaten teste Amazon aber seinen neuen Versand, der noch am gleichen Tag liefere. Solche Sofort-Dienste seien gerade dabei, ihren kompletten Habitus beim Bestellen im Internet zu verändern. Trotzdem könne sie sich nicht vorstellen, Nasentropfen, Hustensaft und Schmerzmittel im Internet zu bestellen.
Allerdings sei sie kürzlich über die „Medizinfuchs“-App als Preisvergleich für Arzneimittel „gestolpert“, die ihr satte Rabatte von bis zu 68 Prozent für Arzneimittel anbiete. Trotz teilweise hoher Versandkosten seien solche Angebote immer noch günstiger als in der Apotheke an der Ecke, meint Timm. Mit der App einen Preisvergleich zu haben, sei durchaus praktisch, findet die FAZ-Autorin. Ab und zu mal Preise zu vergleichen, könne ja nicht schaden. Timm: „Und vielleicht hilft die App ja beim Feilschen in der Apotheke, wenn der Apotheker die Packung Schmerzmittel gern für 15 Euro über den Ladentisch schieben möchte.“ Die Trennung zwischen der Diskussion um Rx-Boni und OTC-Rabatten gelingt an dieser Stelle nicht ganz.
In einer Zusammenfassung kaum wiederzugeben ist dagegen die Kolumne von Professor Dr. Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof, in der „Zeit“. Auf vier langen Seiten wundert sich der Jurist über die besondere Eile von Bundesgesundheitsminister Gröhe, es der kleinen Gruppe von Apotheker mit dem Rx-Versandverbot recht zu machen, wo der es doch sonst bei viel bedeutsameren Themen langsam angehen lasse: „Sobald Ibuprofen oder Lyrica ihren Weg von DocMorris zum deutschen Schmerzpatienten finden, brechen die deutschen Apotheker scharenweise blutleer zusammen und verdorren wie die Bauernhöfe in der Milchschwemme. Samt ihren huschenden Helferinnen“, formuliert Fischer.
In der Demokratie sei das Volk der König: „Es sitzt im Parlament wie einst der König auf dem Thron, blickt um sich und überlegt Tag und Nacht, wie man Gerechtigkeit herstellen und für Recht und Ordnung sorgen soll.“ Fischer: „Da kamen die Mühseligen und Beladenen, die Entrechteten und Gequälten, die Flüchtlinge und Verfolgten, die Gerechten und Ungerechten. Sie traten vor den König und flehten: Hilf mir, Herr! Gib mir, was ich verdient habe! Bewahre mich in meinem Schmerz! Verzeih mir meine Fehler, und rette mich aus der Not! Behandle mich, wie Du jeden behandelst in der Weisheit Deiner Gerechtigkeit!“
Die „systemrelevanten Apotheken aller Kurorte“ hätten mitgeteilt, sie müssten Abermillionen von Apothekenhelferinnen entlassen, sollte nicht binnen Wochenfrist Rettung nahen, und „Du koronarer Herzerkrankter siechtest hunderttausendfach dahin, sollte die Apothekenhelferin Deines Vertrauens Dir bei Überreichung Deines Betablockers nicht mitteilen, es sei nach neuester Forschung zu empfehlen, den BMI von 33 auf 28 zu senken“. Am Ende würde gar geschehen, was niemals geschehen darf: Die Apothekerverbände Bremerhaven, Hanau und Bad Wildungen würden dem König die Stimme verweigern. „Möllemann und Westerwelle würden auferstehen und ‚Freiheit!‘ rufen, Herr Lindner würde Bundespräsident und Frauke P. seine Lebensgefährtin. Das aber wäre das Ende des freien Westens, wie wir ihn kennen“, fabulierte Fischer.