Ein Patient kommt mit einem dringenden Rezept in die Apotheke, aber das weist formale Fehler auf oder ist nicht auffindbar. In der Arztpraxis ist kein Durchkommen. Was nun? Den Patienten versorgen – und eine Retaxation fürchten – oder wegschicken? Eine Studie der Universität Leipzig und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat sich kürzlich mit den ethischen Problemen in der Apotheke beschäftigt – und fordert, diese Themen intensiver zu erforschen.
Im Gesundheitswesen spielen ethische Konflikte eine große Rolle. Davon sind auch Apotheken nicht ausgenommen, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt. 535 Apotheker aus ganz Deutschland haben daran teilgenommen. Insgesamt wurden 15 Entscheidungssituationen hinsichtlich ihrer Häufigkeit und der empfundenen Belastung abgefragt.
„Wir haben uns gefragt, ob nicht auch in der öffentlichen Apotheke ethische Konflikte auftreten. Eine Folgefrage ergab sich daraus, ob sich die Apothekerinnen und Apotheker durch die identifizierten Konflikte im Alltag belastet fühlen“, erklärt Professor Dr. Thilo Bertsche, Leiter der Klinischen Pharmazie und Studiendekan Pharmazie an der Universität Leipzig.
Was tun, wenn das von der Krankenkasse erstattete Arzneimittel aus pharmazeutischer Sicht nicht am besten geeignet ist? Oder eine dringende Verordnung fehlt und die Praxis nicht erreichbar? „Diese beispielhaften Fragen aus der anspruchsvollen Arbeit von Apothekerinnen und Apothekern zeigen, wie schnell die Berufsgruppe vor ethischen Konflikten stehen kann. Dennoch ist dieses Thema in der Forschung bisher kaum untersucht worden“, so Bertsche.
„Wir waren positiv überrascht, dass sich Apothekerinnen und Apotheker sehr viele Gedanken hinsichtlich ethischer Konflikte in ihren heilberuflichen Aufgaben machen“, sagt Bertsche. Oft resultierten ethische Konflikte aus dem heilberuflichen Anspruch und den nicht immer optimalen Rahmenbedingungen der Branche.
So war der am häufigsten genannte Konflikt, dass das von der Krankenkasse erstattete Rabattarzneimittel aus pharmazeutischer Sicht für die Therapie nicht am besten geeignet war. Insgesamt 28,4 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal täglich mit einem solchen Fall konfrontiert zu sein. 37,4 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal in der Woche mit einem solchen Fall konfrontiert worden zu sein.
Auch Lieferengpässe machen den Apotheker:innen zu schaffen. 23,2 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal täglich aufgrund von Lieferengpässen auf weniger geeignete Alternativen ausweichen zu müssen. Ausnahmslos alle Befragten gaben an, Probleme mit Engpässen zu haben, wenn auch in unterschiedlicher Häufigkeit.
Auch Formfehler oder fehlende Rezepte für dringend benötigte Medikamente sind keine Seltenheit. 18,3 Prozent der Befragten hatten mindestens einmal täglich mit einem Rezept zu tun, das einen formalen Fehler aufwies und eine Rücksprache mit dem nicht erreichbaren Arzt erforderlich machte. 41,3 Prozent gaben an, wenigstens einmal pro Woche mit diesem Problem konfrontiert zu sein.
Die befragten Apotheker empfanden alle vorgegebenen Konflikte als belastend. Die Angst vor negativen Folgen für Patient:innen war der dominierende Faktor für die empfundene Belastung. „Das Fehlen eines Rezepts für ein benötigtes Medikament“ ist der einzige Konflikt, bei dem die Angst vor möglichen negativen Folgen für die Apothekerin oder den Apotheker selbst als Hauptgrund für die hohe Belastung genannt wurde.
Mit 30,8 Prozent war die Sorge bei der Versorgung von Schwangeren besonders groß. Eine vergleichsweise geringe Belastung (0,7 Prozent) wurde dagegen bei Patient:innen angegeben, die ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel verlangten, das sie nicht benötigten.
Auf die Frage, worauf sich die Apotheker:innen bei ihrer Entscheidungsfindung stützen, nannten 45 Prozent ihr pharmazeutisches Fachwissen und 43 Prozent die gesetzlichen Regelungen als wichtige Faktoren. 38,4 Prozent sehen auch ihre persönlichen Wertvorstellungen als wichtigen Faktor bei der Entscheidungsfindung. Erst danach folgten Studien oder Leitlinien. Auch der Patientenwunsch stand mit 9,2 Prozent nicht an erster Stelle.
„Wir schließen aus unseren Ergebnissen, dass viele ethische Aspekte zu erheblichen Belastungen beim Einzelnen führen können. In künftigen Untersuchungen könnte nun den identifizierten Konflikten und damit einhergehenden Belastungen besser vorgebeugt werden“, erklärt Bertsche.
Um solchen Belastungen im Alltag besser begegnen zu können, sollte das Thema auch in der Berufsausbildung behandelt werden, so die Autoren. „In der Ausbildung werden ethische Aspekte im Studiengang Pharmazie bereits seit vielen Semestern in Leipzig behandelt. Künftig sollte dieses Angebot um Fortbildungen und Schulungen für in der Praxis tätige Kolleginnen und Kollegen erweitert werden“, sagt Bertsche.
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