Urteilsverkündung im Zyto-Skandal dpa/ APOTHEKE ADHOC, 06.07.2018 10:07 Uhr
In Essen ist heute die Stunde der Wahrheit: Um elf Uhr wird das Urteil gegen Peter S. erwartet. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass der Apotheker aus Bottrop jahrelang lebenswichtige Krebsmedikamente gestreckt hat, um seinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren. Doch wichtige Fragen blieben in dem Verfahren am Landgericht Essen offen. Vor allem konnte nicht geklärt werden, wie viele Patienten unterdosierte Chemotherapien bekommen haben.
Anfänglich war die Staatsanwaltschaft von mehr als 1000 betroffenen Patienten ausgegangen. Die Verteidiger des Apothekers, der am Tag der Urteilsverkündung seinen 48. Geburtstag hat, zweifeln die Indizienkette insgesamt an und fordern einen Freispruch. Peter S. selbst verzichtete auf sein letztes Wort und schwieg am letzten Verhandlungstag.
13 Jahre und 6 Monate Haft wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und Betrugs verlangt dagegen die Staatsanwaltschaft. Der 48-Jährige habe die Krankenkassen um mehr als 50 Millionen Euro geprellt, indem er bei der Herstellung von Krebsmedikamenten zwar die volle Wirkstoffdosis abgerechnet, aber nur eine geringere Dosis verwendet habe. Der Angeklagte habe sich auf Kosten von Menschen bereichert, die um ihr Leben bangten, sagte Staatsanwalt Rudolf Jakubowski. „Und das zur Fortsetzung seines luxuriösen Lebensstils - zum Beispiel zum Bau einer Villa mit Wasserrutsche.“
Der Angeklagte selbst hatte sich im Prozess nicht zu den Vorwürfen geäußert. Seine Verteidiger äußern Zweifel an den Indizien, die die Ermittler zusammengetragen haben. Dem Apotheker könne nicht nachgewiesen werden, dass er ein Serienbetrüger sei, argumentierten die Anwälte am Donnerstag. Außerdem sei die Analyse der sichergestellten Arzneien anzuzweifeln. „Es ist nichts bewiesen“, sagte Verteidiger Ulf Reuker in seinem Plädoyer.
Der mutmaßliche Medikamentenskandal war von zwei Mitarbeitern des Angeklagten aufgedeckt worden. Für ihre Enthüllungen waren sie Ende 2017 mit dem Deutschen Whistleblower-Preis ausgezeichnet worden. Mehrere andere ehemalige Mitarbeiter hatten vor Gericht keine Aussagen gemacht.
Der Fall hat auch in der Politik Wellen geschlagen: Als Konsequenz aus dem Bottroper Fall hatte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) 2017 neue Transparenz-Regeln erlassen. Nun gibt es in den Zyto-Apotheken unangemeldete Inspektionen, bei denen das Personal und die Herstellung von Infusionsarzneimitteln kontrolliert wird. Die Alte Apotheke in Bottrop wird das nicht mehr betreffen: Sie hat eine neue Inhaberin, wird den Namen wechseln und steigt aus der Zytostatika-Herstellung aus. Auch die Städte Bottrop, Gelsenkirchen und Recklinghausen rüsten bei den Apothekenkontrollen auf.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz in Dortmund zeigt sich zum Ende des Prozesses trotzdem ernüchtert: „Noch immer haben Bund und Länder keine ausreichenden Konsequenzen gezogen“, kritisiert Vorstand Eugen Brysch. Dabei gehe es um die Sicherheit von Hunderttausenden Patienten, die durch eine Krebstherapie auf ein Weiterleben hofften