„Es war allerhöchste Eisenbahn“ Julia Germersdorf, 22.10.2023 07:57 Uhr
Inhaberin Heidrun Feldbaum (59) ist die Schließung ihrer Adler-Apotheke keineswegs leichtgefallen. Über 19 Jahre führte sie den Betrieb als Hauptgeschäft in Kleve. Das Publikum international, das Aufgabenspektrum vielfältig, ihr Mitarbeiterstamm durch Corona geschwächt – am 7. Oktober war die Apotheke letztmalig geöffnet.
Die Adler-Apotheke in Kleve war die älteste Apotheke in der Stadt: Fast 300 Jahre war sie Anlaufstelle für die Menschen vor Ort, wenn es um ihre Arzneimittelversorgung ging. Heidrun Feldbaum hat sie 2004 als zweiten Betrieb übernommen, diesen zum Hauptgeschäft gemacht und die Inhaberschaft in der touristischen Stadt über viele Jahre genossen. Bis Corona kam. Nun ist die Apotheke kurz vor der holländischen Grenze geschlossen.
„Die Adler-Apotheke stand immer im Kontrast zu meiner ersten Apotheke, der Pelikan-Apotheke, die eine klassisch traditionelle Vor-Ort-Apotheke am Stadtrand von Dinslaken ist.“ In Kleve hingegen sei man mitten in der Stadt gewesen, habe Tourismus und internationales Publikum geschätzt. „Einige Zeit nach der Übernahme kam die Heimversorgung und später haben wir uns auch um die Methadonversorgung gekümmert.“
Die Schließung habe sich durch Personalmangel angekündigt. „Mit Corona kam immer mehr Stress, der sich angesammelt hat und nicht wieder abgebaut werden konnte. Meine Mitarbeiterinnen sind gerannt ohne Ende – die ganze Zeit über“, erzählt die Inhaberin. „Die Anspannung, die wir alle in den Apotheken hatten, ließ einfach nicht nach.“ Auch das Fehlen der sozialen Kontakte außerhalb der Arbeit habe zu krankheitsbedingten Ausfällen geführt. „Eine nach der anderen hat schlapp gemacht.“
No-Go unter Kolleg:innen
Außerdem habe Feldbaum schließlich eine Kündigung verkraften müssen. Dies sei möglicherweise der neuen Mentalität unter einigen Inhaber:innen geschuldet. „Das Abwerben von Personal mit Wechselbonus und sonstigen Lockangeboten – so etwas gab es früher nicht. Das war ein absolutes No-Go unter den Kolleg:innen. So etwas gehört sich nicht. Das hat man einfach nicht gemacht. Ich bin empört darüber und sehr gespannt, wohin das noch führt.“ Sie selbst hat für ihre Adler-Apotheke keinen neuen Nachwuchs finden können – von einem insgesamt neunköpfigen Team blieben nur noch sechs Mitarbeiter:innen übrig. Somit seien die Aufgaben in der Apotheke nicht mehr so zu bewerkstelligen gewesen, wie es ursprünglich der Fall gewesen sei.
Die Kundinnen und Kunden waren voller Dankbarkeit für all die Zuwendung, die wir gegeben haben. Deshalb hat mir die Schließung auch so unfassbar leid getan.
BTM-Wahnsinn
Im Sommer hat unangekündigt eine Arztpraxis in der Umgebung geschlossen, die auch Methadonpatient:innen behandelt hat. Diese haben dann während der Sommerferien spontan in genau die Praxis wechseln müssen, die auch durch die Adler-Apotheke beliefert wird. „Von jetzt auf gleich hatten wir 30 bis 40 Methadonpatient:innen mehr zu versorgen. Das musste dann mal eben bewältigt werden. Es war Horror“, gesteht die Apothekerin. „In dieser Zeit bin ich nur noch im BTM-Wahn gewesen.“ Die Vor- und Nachbereitung, die dazu nötig ist, habe ihre komplette Zeit in Anspruch genommen. „Da war für mich der Zeitpunkt gekommen, an dem ich realisieren musste: Es geht nicht mehr, ich kann das nicht mehr leisten und ich kann das meinen Mitarbeiterinnen nicht mehr zumuten. Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen – mit Sicherheit nicht. Aber es war allerhöchste Eisenbahn.“
Nachbar übernimmt
Feldbaum sei es wichtig gewesen, dass ihre Patient:innen weiter gut versorgt werden können. „Dass da kein Bruch entsteht. Und dass die Altenheim- und die Methadonversorgung in verantwortungsvollen Händen ist. Dass all dies nahtlos weitergehen kann. Und natürlich, dass es meinen Mitarbeiter:innen gut geht.“ Sie hat deshalb das Gespräch zu ihrem Mitbewerber gesucht. Dieser hat sämtliche Aufgaben und auch das übrig gebliebene Team komplett übernommen – fortan sind die Mitarbeiterinnen Teil der Marien-Apotheke in Kleve. Feldbaum ist zufrieden mit dem Werdegang: „Das ist für uns alle ein großer Schritt, den geht man nicht so leicht, das weiß ich. Aber ich bin wirklich froh, dass meine Mitarbeiterinnen diesen mitgegangen sind. Ich hab mir das wirklich gut überlegt und ich denke, so passt es für alle Seiten: Für die Patient:innen, für die Mitarbeiterinnen und letztlich auch für meinen Kollegen vor Ort.“
Pharmazie! Nicht Medizin.
Mit Blick auch auf ihre eigene Gesundheit wolle Heidrun Feldbaum schauen, wie es weitergeht und sich dabei auf ihre Pelikan-Apotheke in Dinslaken konzentrieren. „Diese ist in den letzten Jahren von meiner Seite her etwas zu kurz gekommen“, gibt sie zu. Und dabei gehe es nicht ums Durchhalten. „Ich möchte meinen Beruf mit Freude ausüben dürfen. Schauen wir mal, wie lange mich Herr Lauterbach noch lässt. Da sehe ich um ehrlich zu sein ein großes Problem.“ Mit dem, was einem alles nicht honoriert werde, stehe nicht im Verhältnis zu dem, was einem aufgezwungen werde, um eine Form von Einkommen zu haben. Feldbaum spricht das Thema Impfen in der Apotheke an. Sie selbst habe eine Nadelphobie und wird nach wie vor nicht impfen, „nur um Gehalt regenerieren zu können.“ Deshalb habe sie auch Pharmazie studiert, nicht Medizin. „Es ist eine Frechheit, dass man mir das als Pharmazeutin aufdrückt.“
Das Miteinander zählt
Schon als 6-jährige wusste Feldbaum, dass sie Apothekerin werden möchte. „Das ist ein Kindheitstraum.“ Stets habe sie ihre Mutter in die Offizin begleiten wollen, wenn diese dort etwas zu erledigen gehabt habe. „Die Atmosphäre dort, die Ruhe, der Geruch, die Ordnung – all das fand ich so toll. Da wusste ich: Das will ich machen.“
Sie würde auch heute nochmal Pharmazie studieren. „Auf jeden Fall sogar, aber die Selbstständigkeit würde ich wahrscheinlich nicht mehr machen.“ Während ihrer Ausbildungszeit konnte sie auch in eine Krankenhaus-Apotheke reinschnuppern. „Das war auch interessant, aber für mich sind es die Menschen, das Miteinander. Es gibt keinen größeren Lohn, als Dankbarkeit in den Menschen erkennen zu können. Ein Lächeln zu bekommen und auf dieser Bühne, die wir als Pharmazeuten haben, Zwischenmenschlichkeit zu schaffen.“