Für die meisten Studenten bedeutet der Jahreswechsel nicht nur Neubeginn, sondern auch Endspurt. Lange ist es nicht mehr bis zu den Prüfungen. Gerade für die Erstis wird es nun anstrengend. Doch das Studium besteht nicht nur aus Anionen und Kationen, sondern ist auch ein wichtiger Lebensabschnitt mit menschlichen Höhen und Tiefen. Das musste Sebastian Reuter in den vergangenen Wochen erfahren. APOTHEKE ADHOC begleitet die nächste Apothekergeneration bei ihren ersten Schritten zwischen Hörsaal, Wohnheim und Labor.
„Wenn ich mit dem Labor fertig bin, bin ich der glücklichste Mensch der Welt“, bekennt Anne Brechlin. Für sie ist das Labor „ein belastetes Feld“. Dass sie nicht sonderlich viel mit der Arbeit am Reagenzglas anfangen kann, wusste sie von Anfang an. „Es ging mir schon in der Schule so, dass ich die Theorie immer mehr mochte als die Experimente. In der Theorie funktioniert es halt immer“, sagt die 20-Jährige. In der Praxis sieht das dann schon anders aus.
Diese Binsenweisheit hat sich im Laborpraktikum bewahrheitet. „Es war nicht so einfach, wie man sich das vorstellt, weil man ständig vor Probleme gestellt wird, die man nicht erwartet hat“, sagt sie. „Wenn sich die Stoffe lösen, wie sie sollen, ist alles super. Wenn nicht, ist es umso frustrierender.“ Ein nicht zu unterschätzender Faktor sei dabei das Glück: Kriegt man einen „leichten“ oder einen „schwierigen“ Stoff zum Nachweis? Klappt es auf Anhieb und die Trennungsgänge laufen wie erwartet, sind meist alle zufrieden. Sind die erdachten Lösungswege erschöpft, zeigt das oft, wie ausgeprägt die Frustrationstoleranz des Laboranden ist. Und da hapert es bei vielen offensichtlich: „Ich habe noch nicht viele getroffen, die das Labor mögen“, sagt zumindest Anne.
Aber sie auch noch nicht Sebastian Reuter über den Weg gelaufen. Er ist kein Labor-Fan wie sein Jenaer Kommilitone Paul Wohlgemuth, weiß die Zeit am Bunsenbrenner aber zu schätzen. „Es ist enorm hilfreich, die Sachen nochmal in der Praxis zu sehen“, sagt er. „Wenn man sieht, dass man im Labor vorankommt, ist das sehr motivierend.“ Und Motivation macht auch Krach: „Mir wurde schon gesagt: ‚Sebastian, wenn du etwas nachgewiesen hast, hört man das bis ans andere Ende des Labors.‘“
Natürlich sei es frustrierend, wenn etwas nicht klappt, aber mehr noch sei es eine spaßige Arbeit. „Ich versuche, das Laborpraktikum als eine Art Detektivspiel zu verstehen“, erklärt der 23-Jährige. Viele Kommilitonen würden das Praktikum als Konkurrenzkampf sehen, entsprechend schnell steige der Frust, wenn etwas nicht nach Plan verläuft. „Bei mir war es am Anfang vielleicht auch so, aber ich wollte mich irgendwann nicht mehr mit den anderen messen. Ich will für mich selbst gut sein, nicht für andere.“
Diese Worte wären ihm zu Beginn des Semesters so wohl kaum über die Lippen gekommen. Trieben ihn anfangs vor allem Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft, haben die letzten Wochen gezeigt, was das Studium auch ausmacht: Man lernt nicht nur, wie Wissenschaft funktioniert, sondern auch wie man im Leben den Kopf über Wasser hält. Mit dem Tod seiner Mutter setzte ihm ein schwerer Schicksalsschlag über mehrere Wochen zu – Wochen, in denen seine volle Aufmerksamkeit eigentlich Chemie, Bio, Physik und dem Labor hätte gelten müssen.
„So schwer es ist, so etwas zu verarbeiten, muss man aber auch einsehen, dass es Teil des Lebens ist und man damit umgehen muss“, reflektiert er die schwere Zeit. „Ich habe für mich persönlich gemerkt, dass ich mir das Studium zu sehr zu Herzen genommen habe, ich wollte alles immer ganz genau wissen und verstehen. Ich war der Auffassung, ich müsste alles gut zusammenfassen, herausarbeiten, niederschreiben und mich nebenbei noch auf Labor, Kolloquium und Prüfungen vorbereiten. Das alles ist aber zeitlich gar nicht möglich, da muss man lernen, strikt Prioritäten zu setzen.“
Seinen Anspruch habe er deshalb auf ein gesundes Maß heruntergeschraubt, wie er beschreibt. „Ich will auf jeden Fall alles beim ersten Mal und möglichst gut schaffen, aber ich will mir auch nicht die Arme rausreißen. Ich nehme mich erstmal ein bisschen zurück und mache so viel, wie gesund ist. Ich bin ja nach Kiel gekommen, um zu studieren. Das hat sich dahingehend erweitert, dass ich jetzt auch hier bin, um zu leben.“
So schwer das Leben als Student sein kann, so wunderbar können auch die unerwarteten Überraschungen sein, die es birgt. Denn ein Pharmaziejahrgang ist nicht nur eine Kaderschmiede für zukünftige Apotheker, sondern auch eine durchaus effektive Singlebörse. Und so gehen Schicksalsschlag und Liebesglück auch bei Sebastian Hand in Hand. „Dass ich im Dezember meine Freundin kennengelernt habe, hat mich auch ein bisschen von der Ego-Schiene abgebracht, immer allein zu pauken.“ Das gemeinsame Lernen mit der Freundin ist dabei nicht nur weitaus angenehmer, sondern schweißt auch zusammen. „Wenn wir es dann geschafft haben, können wir sagen, wir haben es gemeinsam gerockt.“
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