Oberstdorf im Allgäu ist gerade an den Feiertagen ein begehrtes Reiseziel – allein wegen der Skiregion. Annika Schad bereitet sich vor dem Weihnachtstrubel auf ihren ersten Notdienst als Chefin vor. Die 26-Jährige übernahm im April ihre erste Apotheke und ist am zweiten Weihnachtsfeiertag für den Notdienst eingeplant. Ob es voll wird, oder ein besinnlicher Tag inklusive Familienbesuch wird, kann sie aufgrund der Pandemielage noch nicht abschätzen.
Spontane Entscheidungen gehören für Schad dazu. Mit 18 zog sie nach dem Abitur für ein Jahr hinaus in die Welt und bereiste unter anderem Australien. Im Anschluss studierte die gebürtige Hessin in Frankfurt Pharmazie. Während des Studiums stand für sie fest, dass sie eigentlich nicht in einer Vor-Ort-Apotheke tätig sein wollte. „Ich habe immer gesagt, wenn ich in eine Apotheke gehe, dann nur an einem schönen Ort.“
Schließlich folgte Schad dem Ruf der Berge. Sie entschied sich spontan – „aus dem Hörsaal heraus“ – für eine Apotheke im Allgäu, um dort ihr Praktische Jahr (PJ) zu absolvieren. Die Arbeit bei Dr. Michaela Galle-Schumann gefiel ihr gut und ihre Vorurteile wurden widerlegt. Die Tätigkeit in einer Apotheke sei eben nicht langweilig, sagt die junge Apothekerin. „Ich habe an einem Industriestandort studiert und da wird man in Richtung Industrie abgestellt.“ Doch anders als erwartet bereitete ihr die Arbeit im Team und mit Kund:innen große Freude. „Die Menschen sind sehr dankbar und anders als in der Industrie, denkt nicht jeder nur an sich.“
Als Dr. Holm-Helge Schumann, der Mann ihrer Chefin, sie ansprach, ob sie seinen Betrieb übernehmen wolle, nahm sie die Anfrage zunächst gar nicht richtig ernst. Doch als die Gespräche konkreter wurden, habe sie die Gelegenheit spontan genutzt und übernahm die Vallis-Apotheke samt Team. Die Entscheidung bereute sie bisher nicht – im Gegenteil, sie heiratete zwischendurch, holte ihren Mann und ihre Mutter zu sich ins Allgäu. Tobias Schad gab seine Arbeit als Polizist auf und ist jetzt bei seiner Frau für den betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Bereich angestellt.
Ihr zehnköpfiges Team sei „super“, schwärmt Schad. Allerdings trifft auch Bayerns jüngste Inhaberin – wie sie sich selbst nennt – die Realität. Sie könne mehrere Projekte momentan wegen Personalmangels nicht umsetzen, sagt sie. Schad sucht Apotheker:innen und PTA, um etwa neue Schwerpunkte wie Naturkosmetik oder Medikationsmanagement auszubauen. „Ich möchte jungen Menschen Mut machen, sich selbstständig zu machen und zeigen, dass die Arbeit in der Apotheke vor Ort so wichtig ist.“ Von den rund 100 Pharmaziestudent:innen aus ihrem Jahrgang seien die wenigsten in die Apotheke gegangen, sondern entweder als Doktoranden an der Uni geblieben oder in der Industrie. Manche seien als Vertretungsapotheker:innen tätig.
Zudem war die Übernahme mitten in der Pandemie nicht leicht. „Wegen Corona konnte ich bisher keine Vorträge anbieten. Ich will als Apothekerin zeigen, dass es nicht nur um Krankheit, sondern auch um Prävention geht.“ Eine wichtige Stütze ist für Schad die Familie. Ihre Mutter sei Beraterin für holistische Gesundheit und biete Kräuterführungen an. „Das will ich auch integrieren, aber mir fehlt Personal“, sagt sie. „Der Apothekerberuf, aber auch der der PTA und PKA befindet sich im Wandel und ich versuche alles, um ihn wieder attraktiver zu machen.“ Bei ihr würden die Angestellten aktiv mit einbezogen und erhielten die nötige Wertschätzung.
Über Weihnachten werde ihr Bruder zur Unterstützung kommen. Vielleicht ist ein gemeinsames Beisammensein am 26. Dezember möglich, angesichts der erwarteten Besucher über die Feiertage, bezweifelt Schad jedoch, dass es ein ruhiger Notdienst wird. „Wegen Corona weiß man es aber nicht“, sagt sie. Auf jeden Fall wird ihr Mann sie am zweiten Feiertag in der Apotheke unterstützen.
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