Erste Tankstelle der Welt

Stadt-Apotheke Wiesloch: Einmal tanken, bitte!

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Berlin -

Als die ersten Autos gebaut wurden, gab es Benzin und andere Treibstoffe wie Petroleum nur in der Apotheke. Als erste Tankstelle der Welt gilt deshalb die Stadt-Apotheke in Wiesloch. Denn dort ließ Bertha Benz bei der ersten Überlandfahrt Anfang August 1888 von Mannheim nach Pforzheim ihren Wagen mit dem Leichtbenzin Ligroin tanken. Inzwischen hat sich die Apotheke zum beliebten „Wallfahrtsort“ für Oldtimer-Fans entwickelt. 

5. August 1888. Im Morgengrauen startete Bertha Benz, Ehefrau des Auto-Erfinders Carl Benz, mit ihren beiden halbwüchsigen Söhnen Eugen und Richard zu einer kühnen Tour. Sie wollten von Mannheim nach Pforzheim zu den Großeltern fahren. Es war die erste Auto-Fernfahrt der Weltgeschichte. Benz erfuhr per Zettel auf dem Küchentisch vom Familienausflug ohne ihn. Denn als seine Gattin den Motor den 1-Zylinder-Viertakt-Motor des Benz-Patent-Motorwagens ankurbelte, schlief Benz selig.

Es ist für uns heute kaum vorstellbar, welche Schwierigkeiten Bertha Benz auf dieser ersten Fernfahrt bewältigen musste. Denn es gab weder Straßen, wie wir sie heute kennen, noch Verkehrsschilder und Wegweiser. Fernstrecken wurden zu jener Zeit bereits bevorzugt mit der Eisenbahn bewältigt. Und genau dies war die Lösung, die die mutige Frau fand: Sie fuhr mit ihrem Automobil immer entlang der Eisenbahnlinie, um sich nicht zu verfahren.

Mit seinen 1,5 PS konnte ihr Wagen maximal 20 Stundenkilometer „schnell“ fahren. Bei schwierigen Straßenbedingungen verbrauchte er allerdings so viel Kraftstoff, dass bereits rund 45 Kilometer nach dem Start den Ausflüglern zum ersten Mal der Sprit ausging. Da haben sie gerade Wiesloch erreicht. Benz schickte ihre Söhne zum Brunnen und Wasser zu holen und zur Stadtapotheke, um Treibstoff zu besorgen. Am besten Ligroin, der damals in erster Linie der Reinigung von Kleidung diente.

Apotheker Willi Ockel hatte noch zwei Liter auf Lager. Das Tanken war schon damals kein billiges Vergnügen. Auf heutige Verhältnisse umgerechnet kostete der Liter stolze 12 Euro. So wurde die Wieslocher Stadtapotheke, die noch heute existiert und von Jutta Suchy geführt wird, zur ersten Tankstelle der Welt.

„Als meine Frau die Apotheke von ihrem Großonkel übernommen hat, hat sie gar nicht im Detail gewusst, was für eine Geschichte dahinter steckte“, erinnert sich Adolf Suchy. Er ist derjenige, der sich um die Aufarbeitung der Apothekengeschichte gekümmert hat und noch heute alle Aktivitäten verantwortet. „Das erst Mal, dass wir quasi gezwungen waren, uns eingehen damit zu befassen war 1985 zum 250. Firmenjubiläum“, berichtet er. „Als wir mehr erfuhren, stand die Frage im Raum, ob wir uns mit der Geschichte der Apotheke voll und ganz identifizieren wollen oder es ganz bleiben lassen.“ Man habe sich für die erste Option entschieden.

Seit 35 Jahren spielt Suchy, inzwischen Vorsitzender der Freunde historischer Fahrzeuge in Wiesloch, den Tankwart und Apotheker Willi Ockel bei den traditionellen „Bertha-Benz-Fahrten“ und stellt den damaligen Tankvorgang am vereinseigenen Nachbau des Benz-Patentmotorwagens nach. Bei der Oldtimer-Parade, die die Pioniertat von Bertha Benz ehrt, darf ein Stopp vor der Stadt-Apotheke keinesfalls fehlen.

Auch in diesem Jahr knatterten über 70 Oldtimer, von denen einige bereits mehr als 120 Jahre auf ihren Achsen hatten, durch die Hauptstraße. Mit dabei unter anderem ein Benz Viktoria aus dem Jahre 1893, ein Renault XB, gebaut 1905, und der Opel Doktorwagen, der 1908 erstmals über die Straßen rollte. Citroëns, Buicks, einige Ford-Modelle und auch ein Studebaker konnten bestaunt werden.

Auch sonst hat sich die Apotheke mit den Jahren zum beliebten „Wallfahrtsort“ für Oldtimer-Ausfahrten entwickelt. „Wir bieten Vorträge und Führungen durch die historische Apotheke an“, erzählt Suchy. Denn inzwischen befindet sich die moderne Stadt-Apotheke im Nebengebäude. Die historische Apotheke samt Einrichtung ist aber erhalten geblieben und kann besichtigt werden. In rund 45 Minuten können die Besucher nicht nur Einiges über die Apotheken- und Pharmaziegeschichte, sondern auch die Entstehung von Tankstellen und die Mineralölwirtschaft erfahren. „Aber ich könnte auch locker fünf bis sechs Stunden erzählen“, sagt der Oldtimer-Fan.

Die Apotheke ist auch über die deutsche Grenze bekannt. Laut Suchy waren bereits russische und chinesisches Fernsehen in Wiesloch, um über die erste Tankstelle der Welt zu berichten. Auch einige Amerikaner seien schon mal da gewesen. „Ich bin allerdings nichts sicher, ob wir sie davon überzeugen konnte, dass die Stadt-Apotheke tatsächlich die erste Tankstelle der Welt war und Carl Benz und nicht Henry Ford das erste Automobil erfunden hatte“, sagt Suchy.

Ligroin gibt es in der Stadt-Apotheke inzwischen nur „zur inneren Anwendung“. „Es ist ein Kräuterdestillat“, erklärt Suchy. Es werde in der Apotheke verkauft und sei als Mitbringsel für daheim und Geschenk für die Gäste der Stadt beliebt. Auch bedruckte Tassen und Tassenuntersetzer erinnern an den Tag, an dem die Stadt-Apotheke in Wiesloch ein Teil der Automobil-Geschichte wurde.

Doch die Stadt-Apotheke kann sogar einen weiteren bekannten Besitzer vorweisen: Johann Philipp Bronner. Er gilt heute als Weinbaupionier. Seine vielfältigen Kenntnisse über Natur und Umwelt und sein Studium der Pharmazie befähigten ihn, den Weinbauern in Wiesloch mit Rat und Tat zu helfen. Bald machten ihn seine diesbezüglichen Reisen und Studien weit über seine Heimatstadt hinaus bekannt und berühmt.

Sein Interesse galt nicht nur der Arbeit im Weinberg, sondern auch den geologischen, mineralogischen, klimatischen und technischen Einflüssen und deren Rückwirkung auf die angepflanzten Rebsorten. Aber auch die Kellerwirtschaft war sein Anliegen sowie die Bereitung von Sekt. Er sammelte fremde Erfahrungen, vereinigte sie mit eigenen Anschauungen und verbreitete sie in den Zeitschriften der landwirtschaftlichen Gesellschaften. Durch seine Empfehlungen zu sortenreinen Weingärten mit Riesling und Blauer Spätburgunder, geregelter Lese und geordneter Kellerwirtschaft gilt Bronner als einer der Vorkämpfer des deutschen Qualitätsweinbaus.

„Wiesloch kann also nicht nur mit Automobilgeschichte punkten, sondern auch mit Weingeschichte“, wirbt Suchy für seine Stadt. Ohnehin habe Wiesloch und die gesamte Rhein-Neckar-Region viel zu bieten. Von Oldtimer-Museen über Wanderrouten bis hin zu Kultur biete sie für jeden Besucher etwas. Bisher werde aber die „Tourismus-Karte“ von der Stadt noch unzureichend ausgespielt, findet er. „Dabei beneiden andere Gemeinden Wiesloch zu Recht um die Möglichkeiten.“

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