Apothekerin baut Not-Offizin

Einsturzgefahr: Apotheke evakuiert

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Berlin -

In der Löwen-Apotheke im sächsischen Großenhain herrscht Ausnahmezustand: Die Offizin ist gesperrt, weil sie jeden Moment einstürzen könnte. Inhaberin Kerstin Boragk versucht gerade zu retten, was geht. Das Apothekenteam räumt das gesamte Generalalphabet in ein spontan angemietetes Quartier gegenüber. Dort hat Boragk aus Baumarktregalen eine Not-Offizin eingerichtet, um den Betrieb aufrechterhalten zu können. Ob ihre historische Offizin gerettet werden kann, ist noch unklar.

Es fing alles ganz unspektakulär an. „Am 2. Januar wurde ich aus dem Urlaub geholt, weil wir einen Wasserschaden in der Apotheke hatten“, erzählt Boragk, während man im Hintergrund das Treiben zahlreicher Helfer hört. „Es tropfte ganz leicht, wurde mir gesagt. Bis ich da war, lief es schon wie aus dem Wasserhahn.“ Direkt über der Offizin befindet sich Boragks Büro, das Wasser ist offensichtlich aus der Heizungsanlage. Mieter in der Etage über dem Büro beschwerten sich im Dezember, dass sie nicht warm wird, also füllte die Heizungsfirma hunderte Liter Wasser nach – die blieben aber nicht dort, wo sie hingehören, sondern drangen ins Mauerwerk des im 13. Jahrhundert errichteten Gebäudes. Dort drücken seitdem mehrere hundert Kilo auf die historische Decke.

Über Tage versuchten Boragk und ihre Mitarbeiter, das Problem mit Wassereimern und Putzlappen in den Griff zu bekommen. Der Betrieb ging normal weiter – bis Statiker André Anlauf kam. Er wurde Donnerstagvormittag hinzugerufen und brauchte nur einen kurzen Blick: akute Einsturzgefahr – sofort alle raus! „Er hat mich direkt angefahren, dass ich noch in der Offizin bin“, berichtet die Inhaberin. Denn ein Kreuzgewölbe, so erklärte er ihr später, breche nicht teilweise zusammen, sondern kollabiere mit einem Schlag. Und das sei in dem Fall hier jeden Moment möglich. „Ich habe die Gefahr erst gar nicht gesehen, ich hätte nicht gedacht, dass es so dramatisch ist“, sagt Boragk.

Von einem Moment auf den anderen mussten Boragk und ihr Team die Offizin verlassen, sie ist komplett gesperrt worden und darf nicht mehr betreten werden. Glück im Unglück: Die anderen Bereiche der Apotheke sind nicht gesperrt, so dass noch Ware gerettet werden kann. Für den Weiterbetrieb musste eine Behelfsoffizin her, die sich kurzfristig auch fand. Direkt gegenüber standen nämlich Räumlichkeiten leer, die die Apothekerin spontan anmieten konnte. Im Baumarkt besorgte sie schnell ein paar Regale, um HV und Sichtwahl zu improvisieren. Bürokratische Probleme hatte sie dabei glücklicherweise nicht. „Die Behörde hat super reagiert und mir sofort ganz unkompliziert die Erlaubnis erteilt.“

Seitdem gilt es zu retten, was zu retten ist – vor allem die Arzneimittel: Denn das Generalalphabet steht parallel zur Offizin und ist nur durch eine dünne Trennwand von dieser abgeschirmt. Stürzt die Offizin ein, ist auch der 250.000 Euro teure Warenbestand dahin. Also bauen das Apothekenteam und seine Helfer das Generalalphabet so schnell es geht ab und verfrachten alles in die neuen Räumlichkeiten gegenüber. „Das Grundgerüst steht schon, aber die Räumlichkeiten sind enger als in der Apotheke, deshalb müssen wir schauen, wie wir alles unterkriegen.“

Ein Bauunternehmen versucht währenddessen, das Gewölbe zu retten: In Boragks Büro hat es das Parkett herausgerissen und muss nun das darunter liegende Gemisch aus Wasser, Sand, Kies und Lehm abtragen. Doch das ist gar nicht so einfach, weil das so gleichmäßig wie möglich geschehen muss. Ansonsten könnte das Gewölbe weiter destabilisiert werden und dann erst recht einbrechen. Und die Situation verschärft sich noch: Den Arbeitern ist aufgefallen, dass sich mittlerweile auch an anderen Stellen im Mauerwerk Risse bilden. Möglich also, dass auch andere Räume bald evakuiert werden müssen. Der Zeitdruck steigt.

Boragk blickt unterdessen mit Bange von außen in ihre Offizin. „Man sieht den Möbeln an, dass sie durch den Druck von oben unter Spannung stehen und sich schon verbiegen“, erklärt sie. Der Gedanke, dass die Offizin verloren gehen könnte, schmerzt Boragk. In den vergangenen Jahrhunderten hat das Gebäude so einige Kriege und Naturkatastrophen überlebt. „Als wir vor ein paar Jahren umgebaut haben, haben wir sogar noch Rußspuren vom großen Stadtbrand 1744 gefunden“, erzählt Boragk. Um so bitterer, wenn am Ende eine kaputte Heizung sein Schicksal besiegeln sollte. Besonders traurig ist für Boragk auch das Schicksal der historischen Wandvertäfelung. „Die hätte ich gern gerettet, aber sie kann nicht abgebaut werden, weil sie die Decke stützt“, erklärt sie. „Das tut mir in der Seele weh.“

Balsam für die Seele ist hingegen die Solidarität, die sie erfährt. Es packen nämlich nicht nur ihre 15 Mitarbeiter kräftig mit an. Als Gehe von der Situation erfahren hat, schickte der Großhändler direkt einen Transporter und zwei Mitarbeiterinnen, die Erfahrung mit dem Jahrhunderthochwasser 2002 haben. Und am Samstag rückt dann noch der Karnevalsverein an, um zu helfen. Die Sorge, wie es mit der Apotheke weitergeht, bleibt unterdessen. „Nächsten Dienstag ist dann die große Baubesprechung, an der auch der Denkmalschutz teilnimmt. Danach wissen wir hoffentlich, wie es weitergeht.“

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