Depression: SOS-App soll Leben retten Silvia Meixner, 19.04.2017 14:31 Uhr
Mehr als 45.000 Menschen haben bisher die „EnkeApp“ heruntergeladen – wer an Depressionen leidet, kann damit Wege finden, Verunsicherung und Isolation zu überwinden. Bei den VISION.A Awards gewann die Idee in der Kategorie CSR.Vision den dritten Platz.
Das Thema Depressionen hat in den vergangenen Jahren einen Wandel erfahren – trotzdem bleibt noch viel zu tun. „Nicht Schweigen, sondern Reden ist Gold, wenn es um Depressionen geht“, sagt Teresa Enke, die nach dem Tod ihres Mannes Robert die gleichnamige Stiftung gründete. Enke war Torwart der Bundesligamannschaft von Hannover 96 und achtmaliger Torhüter der Nationalmannschaft des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Er litt über mehrere Jahre an Depressionen. Am 10. November 2009 nahm er sich das Leben, hinterließ seine Ehefrau und eine acht Monate alte Tochter.
Sein Tod löste tiefe Betroffenheit in Deutschland aus. Die Krankheit „Depression“, bislang weitgehend ein gesellschaftliches Tabuthema, wurde ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Es gab Berichterstattung und Aufklärung. Wer an Depressionen leidet, muss sich nicht mehr verschämt zurückziehen oder seine Krankheit verleugnen.
Nun hat die Stiftung eine App entwickelt, die das Hilfsangebot für Menschen mit Depressionen erweitern soll. „Die Idee kommt aus der Stiftung. Wir haben früh erkannt, dass der Bereich Social Media wichtig für unsere Arbeit ist und daraufhin überlegt, wir wir zur digitalen Anlaufstelle zum Thema werden können. Wir haben 140.000 Follower bei Facebook, unsere Reichweiten liegen bei mehreren Millionen“, sagt Tilman Zychlinski von der Stiftung. Bei der Präsentation der App sagte Oliver Bierhoff: „Wir wissen, dass es in allen Lebensbereichen und auch im Sport zu Depressionen kommt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Personen bereit sind, sich ihrer Krankheit zu stellen. Die EnkeApp leistet dazu einen großen Beitrag.“
Die App hat ein „SOS-Feature“, mit der in Notsituationen gewährleistet ist, dass der Patient sofortige Hilfe erhält: Wer den Notruf-Button drückt, wird an vorher ausgewählte Personen seines Vertrauens oder direkt an Rettungskräfte weitergeleitet. Über eine GPS-Lokalisierung ist es den Hilfskräften möglich, den Betroffenen zu finden, selbst wenn der nicht sprechen kann. Mehr als 2000 Menschen haben sich bisher registrieren lassen, um den SOS-Ruf im Notfall nutzen zu können.
„Viele Suizidversuche sind ein letzter Hilfeschrei, wir bekommen viel positives Feedback von den Usern, die diese App als wertvoll einschätzen“, sagt Zychlinski. Doch das reiche noch lange nicht: „Es bleibt noch viel zu tun. Man kann die Situation an Depressionen Erkrankter mit den Problemen von Krebskranken in den 70er- und 80er-Jahren vergleichen“, sagt der Stiftungsmitarbeiter. „Damals waren Krebskranke stigmatisiert, mittlerweile geht die Gesellschaft offener damit um. Aber wir erkennen Fortschritte. Niemand, der Depressionen hat, braucht sich mehr zu verstecken. Wir hoffen, dass es eines Tages ganz normal sein wird, mit Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen über Depressionen zu sprechen.“
Ein Mensch mit Depressionen möchte Sätze wie „Komm‘, wir gehen ins Kino“ oder „Hab‘ dich nicht so!“ nicht hören. „Er muss ernst genommen werden, sich verstanden fühlen.“ Ein Problem sei die Verfügbarkeit von Therapieplätzen in Deutschland: „Betroffene müssen bis zu sechs Monate auf Behandlung warten, je nachdem, in welcher Region sie leben.“
In den Städten funktioniere die Betreuung meist gut, in ländlichen Regionen sei die Situation hingegen katastrophal. „Eine Depression verläuft auch in Schüben, wenn ein Patient sich in einer akuten Krise befindet, kann er nicht sechs Monate warten. Ein entscheidender Faktor ist die Politik.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Hermann Gröhe hätten das Problem erkannt – was daraus werde, bleibe abzuwarten. In diesem Jahr soll die App erweitert werden: „Wir wollen die Neuerungen am achten Todestag Enkes am 10. November präsentieren.“