Ein Gipsbein für das Apotheken-A Katharina Brand, 03.12.2023 09:57 Uhr
Jody Korbach ist Künstlerin, sie verarbeitet in ihren Werken viele Logos und Werbung. Wegen seiner grafischen Klarheit hat es ihr das Apotheken-A angetan, und so sie sich damit künstlerisch auseinandergesetzt. Ihre Werke erzählen Geschichten der Unvollkommenheit, des Schmerzes und der Heilung. Bis Montag läuft die Ausstellung „Fine People on both sides, and me.“ noch im Neuen Aachener Kunstverein.
Das Apotheken-A ist das Erkennungszeichen schlechthin für die öffentliche Apotheken in Deutschland. In seiner besonderen Form als großes, rotes, gotisches A auf weißem Grund ist es einzigartig. Das Motiv des weißen Arzneikelchs mit der Schlange repräsentiert die toxischen Stoffe, mit denen in der Apotheke umgegangen wird. Die Schlange symbolisiert den antiken Heilgott der Gesundheit und Heilkunde, Äskulap.
Wegen dieser offiziellen und gesellschaftlich etablierten Wahrnehmung hat Korbach das Apotheken-A in ihrer Kunst verarbeitet. Mit unterschiedlichen Materialien interpretiert sie das Zeichen im Kontext von Gewalt und Heilung.
Zur Entstehung von Korbachs Apotheken-Kunst
Auf die Frage hin, was sie zur Verwendung des Apotheken-A in ihrer Kunst inspiriert hat, erklärt sie: „Zusammen mit Christian Kölbl, einem Künstler, der ebenfalls mit dem Apotheken-A arbeitet, hatte ich Unterhaltungen über die heilende Versprechung des Zeichens. Als ich wusste, dass ich eine Ausstellung im NAK Neuer Aachener Kunstverein über die Lust und den Nutzen an politischer Gewalt machen will, kam es mir nur logisch vor, auch die Heilung dieser Gewalt symbolisch einzubinden.“
Für Korbach ist die Apotheke „der Ort, an dem es magische Mittel gegen meine Leiden gibt“. Sie verspreche Heilung von Schmerz. „Ich denke auch daran, wie ich dort Tabletten und Lösungen gegen die unnötigen Konsequenzen meiner Exzesse kaufe. Wohlwissend, dass meine Entscheidungen negative Folgen für mich haben werden, treffe ich sie trotzdem. Am nächsten Tag gehe ich einfach in die Apotheke und hole mir Schmerzmittel, mit denen ich den mir selbst verursachten Schmerz betäuben kann.“
Sie frage sich, inwiefern die Idee einer abschließenden Heilung eine Illusion sei. „Im Falle von selbst verursachten Schmerzen vielleicht sogar eine Anmaßung. Anstatt die Ursachen meiner Schmerzen anzuerkennen und zu vermeiden, fordere ich von jemand anderem ein Mittel, das mich die Konsequenzen meiner Handlungen nicht mehr spüren lässt. Es soll einfach aufhören weh zu tun. Aber manchmal geht das eben nicht und man muss lernen mit dem Schmerz zu leben und die Verantwortung zu übernehmen.“
Leuchtreklame als Kunstobjekt
Eines ihrer Werke trägt den Titel „Mit beiden Beinen auf dem Boden der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung stehen“. Es handelt sich um ein altes Apotheken-Leuchtschild, das Korbach im Internet aufgetan hat: „Es war anscheinend eine Sonderanfertigung, bei der ein Teil des rechten Fußes des Apotheken-A von Anfang an nicht existiert hat. Ich mochte die Idee, die Apotheke, die ja sonst eigentlich mir hilft, zu heilen. Etwas zurückgeben. Also habe ich dem A ein Gipsbein gebastelt, damit es wieder von alleine stehen kann. Natürlich ist es nur eine Krücke. Es gab nie zwei Beine, die fest auf dem Boden hätten stehen können.“
Zum Titel erklärt sie: „Ich finde, es gibt einfach zu viele solcher Sprüche, mit denen Poltiker:innen und andere Vertreter:innen des öffentlichen Lebens Versprechungen und Bekundungen machen, bei denen ich nicht einmal weiß, was genau eigentlich gemeint ist. Was soll das heißen, mit beiden Beinen auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu stehen? Es scheint mir wie eine hohle Phrase, um sich selbst auf der vermeintlich richtigen Seite zu positionieren. Demokratie ist gut. Demokratische Grundordnung noch besser. Darauf zu stehen – auch noch mit beiden Beinen! – unschlagbar. Aber mir fehlt der Inhalt. Leute bekunden sich zu Werten, die sie nie konkret benennen. Die Würde des Menschen ist angeblich unantastbar, trotzdem so viele Verletzte.“
Das Apotheken-A als Personifikation
In der Ausstellung tauchen zwei Apotheken-A auf. Eines hat anstatt der Schale der Hygieia ein lachendes, das andere ein trauriges Gesicht. Für Korbach stehen die Buchstaben für „die erfolgreiche und die gescheiterte Heilung“.
Während der Vorbereitungsphase zur Ausstellung sei etwas mit ihr passiert: „Mir ist aufgefallen, dass ich im Prozess der Ausstellungsvorbereitung das Apotheken-A angefangen habe zu personifizieren. Wie ein kleines Wesen, auf das ich aufpassen muss. Deswegen heißt die Arbeit mit dem traurigen Gesicht, die Edition zur Ausstellung, auch ‚Aua bubu‘. Dieses A erinnert mich an ein kleines Kind, dem man auf die Stelle pustet, die ihm weh tut. Es muss sich nicht selbst helfen und sein Schmerz wird nicht in Frage gestellt. Man bleibt bedingungslos an seiner Seite bis der Schmerz, real oder nicht, verschwunden ist.“
Gewaltfantasien hängen neben der erfolgreichen Heilung
Ein weißer DIN-A4-Rahmen hängt an einer weißen Wand. Er überschneidet sich mit einem um ein vielfaches größeres Apotheken-A, das anstelle des Arzneikelches mit der Schlange ein einfaches, lächelndes Gesicht in Form zweier Punkte und eines gewölbten Striches zeigt.
Das Werk im Rahmen selbst zeigt „das Fantasieren über Gewalt und die fehlende Antwort, so dass es nur ein Gefühl bleiben muss“. Dieses Scheitern der Fantasie deckt sich laut Korbach mit dem Unvermögen, die Schrift richtig auf dem Blatt zu positionieren. „Erst wird zu groß gestartet, dann muss der Rest des Satzes noch drauf gequetscht werden. Zwischendrin wird die Idee sogar verworfen, und einfach ein großer roter Klecks Farbe auf das Papier gesetzt, da es vorübergehend als Palette gebraucht wurde. Außerdem steht auch noch eine unkenntlich gemachte Telefonnummer auf dem Papier. Man sieht also, dass die Unfähigkeit solch eine Gewaltfantasie zu Ende zu denken sich auch in der Genese der Arbeit widerspiegelt.“
Zwischen Aggression und Heilung
Über die Kontextualisierung ihrer Kunst erklärt Korbach: „Manche Kunst schlägt Wunden und andere heilt. Ich frage mich, ob Künstler:innen, die gerne provozieren, eigentlich mehr am Prozess der Heilung interessiert sind. Wenn man den Schmerz selbst verursacht hat, hat man vermeintlich mehr Kontrolle über ihn. Außerdem ist es eine enorme Befriedigung, wenn man es schafft, die Verletzten dazu zu bringen, die von mir bestimmte Medizin zur Heilung der durch die Provokation geschlagenen Wunden anzunehmen. Es steckt schon etwas Böses dahinter, aber gleichzeitig auch ein großer Wunsch nach gemeinsam erlebter Heilung. Vielleicht auch das Bedürfnis, den von mir empfundenen Schmerz auch anderen zuzufügen, damit sie ihn nachvollziehen müssen. Es ist ein Dagegen und ein Zusammen gleichzeitig.“
Korbach: „Ich glaube, im Grunde sind wir alle nur verletzte Trottel. Das anzuerkennen ist vielleicht der erste Schritt zur Heilung.“