ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Diese Woche im Angebot: Blutdruckmessen

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Berlin -

„Frau Meyer in Gang 3 bitte, Frau Meyer bitte“, schallt es durch den Supermarkt. In Gang 3 wartet zwischen Backmischung, Tütensuppen und Knabbergebäck bereits eine Kundin darauf, ihre nächste Grippeimpfung verpasst zu bekommen. Frau Meyer kann helfen, auch dem Senior, der gerade kurz einmal seinen Blutdruck gemessen haben möchte. Der ist ihm nämlich beim Blick auf die Milchpreise gerade etwas hochgeschossen. Frau Meyer kann helfen, denn sie hat den eintägigen Zusatzkurs für leichte apothekerliche Untersuchungen und Tätigkeiten abgelegt. Mit den laUT wollte Lauterbach zum Ende der Amtszeit noch einmal in die Geschichte eingehen.

Das Konzept ist schließlich ganz nach seinem liberalen Geschmack: Apotheken und deren Strukturen zersetzen, alles was ausgelagert werden kann, wird ausgelagert. Kein Wunder, dass sich Discounter wie Lidl, die doch ohnehin schon immer wieder Blutdruckmessgeräte im Angebot haben, gerne auf dieses Angebot stürzen. Und was braucht es schon dazu, um eine Nadel in den Oberarm zu setzen oder mal eben über die Medikationsliste zu gucken? Das ist schnell gelernt und der ganze bürokratisch gelernte Aufwand aus den Apotheken konnte ohnehin gestrichen werden. Und das allerbeste: Die Kettenstrukturen sind bereits da. Effizienz par excellence, so muss das sein.

Am bequemsten ist es doch sowieso, wenn man alles mit einem Wisch erledigen kann. Nicht ohne Grund konnte Amazon so groß werden. Und so können die Leute alles miteinander verbinden, nachdem auch die letzte Landapotheke neben dem Supermarkt verschwunden ist. Schnell die Einkäufe erledigen und fast nebenbei noch etwas für die Gesundheit tun.

Das bekommen die Lebensmittelketten insgesamt einfach besser hin. Nachdem sich die Apothekerschaft sowieso von Anfang an schwer tat mit den pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL), haben die Discounter das mit der Werbung dafür einfach besser drauf. Und der Clou für die Patient:innen: Mit der Lidl-Plus-App (oder passendes Äquivalent je nach Markt) gibt es mal eine Paket Kaffee, mal eine Tafel Schokolade gratis dazu. Auch Termine können dafür vereinbart werden, um garantiert ohne Wartezeit dranzukommen.

Endlich kümmert sich jemand anderes drum

Im Grunde müssten die wenigen verbliebenen Apotheken doch froh darum sein, dass ihnen derlei laUT nun abgenommen werden. Schließlich war für die pDL weder Zeit, noch Lust, noch Personal vorhanden. Nachdem die Abda entsprechende Zusatzleistungen auch noch als Garant für mehr Einnahmen sah, war die Luft komplett raus. Auch Streit blieb da innerhalb der Apothekerschaft nicht aus. Das artete sogar zum handfesten Generationenkonflikt aus, denn während die Jüngeren aus Idealismus noch mitgezogen hätten, rechnete die zunehmend älter werdende Standesriege die nüchternen Zahlen.

Zuerst versuchte sich dm an dem Konzept. Dank E-Rezept und ePA waren Apotheken ja ohnehin überflüssig geworden, Konzernchef Christoph Werner fackelte nicht lange und nahm entsprechende Leistungen ins eigene Portfolio auf. Die ohnehin vorhandene gemütliche Ecke, die sonst Babys und Müttern vorbehalten war, wurde halbiert. Hinzu kamen Wartebänke für Senioren, um allen Zielgruppen gerecht zu werden. Und schwupps war sie da: die erste laUT-Station im dm.

Die erste wurde von Lauterbach feierlich selbst eröffnet. Aber wie so oft dauerte es nicht lange, bis die Discounter nachzogen. Hersteller kennen es bereits, wie Markenartikel durchgereicht werden: In den Apotheken groß gemacht, im Drogeriemarkt zum Massenprodukt umgewidmet – und ehe man sich versieht, landet man auf dem Grabbeltisch. Und so wird die Approbation erst ersetzt durch den Sachkundenachweis und dann eben durch den laAU-Crashkurs.

Zudem ist dm jetzt nicht gerade dafür bekannt, sich in ländlichen Gebieten niederzulassen. Da findet man doch eher den Supermarkt auf dem Dorf als Nahversorger. Und da sind sie nun gelandet. laUT, durchgeführt von den fleißigen und systemrelevanten Frau Meyers im Lidl und alle sind glücklich.

dm greift Apotheken an

Allzu weit entfernt scheint diese Dystopie leider nicht, wenn dm-Chef Christoph Werner Recht behält: Laut seiner Vision werden Apotheken zunehmend überflüssig. Bisher fehlten der Drogeriekette aber noch Dienstleistungsangebote im Gesundheitsbereich. Das kann sich der Sohn des Firmengründers aber vorstellen. „Aber früher oder später wird der Gesetzgeber hier reagieren müssen“, so Werner gegenüber dem Tagesspiegel.

Mit Blick auf das Apothekensterben fügt er hinzu: „Jeden Tag schließen ein bis zwei Apotheken in Deutschland, vor allem im ländlichen Raum. Viele Apotheker sagen, es rechnet sich nicht mehr oder haben keine Nachfolge. Bei der Frage, wie Gesundheit erschwinglich und verlässlich bleibt, können Drogeriemärkte mit ihrem bestehenden Filialnetz einen wichtigen Beitrag leisten.“ Vorstellbar ist für Werner alles: Beratungen, Diagnosen, Impfungen und auch die Abgabe von Arzneimitteln, ganz nach Vorbild der US-amerikanischen Drugstores. Möglich machten dies unter anderem E-Rezept und ePA.

pDL sorgen unter Apothekern für Streit

Und das Thema der pDL ist ohnehin aufgeladen genug: Während die Abda die Dienstleistungen derzeit stark bewirbt und versucht, den Apotheken das zusätzliche Angebot als zusätzliche Einnahmequelle schmackhaft zu machen, bleiben viele, die eigentlich mitziehen sollen, auf der Strecke. „Wir sind froh, wenn wir das normale Tagesgeschäft bewältigen können“, wird Reinhard Rokitta im „Spiegel“ zitiert. Er ist Vorstand der Freien Apothekerschaft und Inhaber der Punkt-Apotheke im westfälischen Bünde. Kernaufgabe der Apotheken sei die Versorgung mit Arzneimitteln und damit habe man genug zu tun. „Alles andere auch noch zu wollen, ist Arroganz.“

Benedikt Bühler vom Verband innovativer Apotheken (Via) reagierte mit „Unverständnis“. „Die Entscheidung des ‚Spiegels‘, einen Apotheker kurz vor der Rente zu befragen, statt die Einschätzung der jungen Generation einzuholen, ist verwunderlich“, so Bühler. Dass pDL aufgrund von Personalmangel nicht in der Apotheke angeboten werden könnten, hält Bühler für „grotesk“. „Unsere Erfahrung zeigt, dass junge motivierte Apotheker:innen gerade gezielt nach Apotheken suchen, die anspruchsvolle Beratung und zum Beispiel eine AMTS-Ausbildung bieten.“ Man müsse sich von veralteten Konzepten lösen und pDL konsequent ausbauen.

Auch wenn es keine explizite Verpflichtung gibt – was Rokitta wiederum stört, ist der Duktus, der derzeit in der Berufspolitik mitschwingt. So hatte Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening anlässlich der jetzt gestarteten TV-Kampagne erklärt, dass „nur vitale Apotheken vor Ort“ die neuen pharmazeutischen Services umfänglich anbieten könnten. Wer dies also nicht schaffe, sei demnach tot, stellt Rokitta verärgert fest.

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