Pharmazie-Ersties

Die schlimmsten 90 Minuten der Woche

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Berlin -

Das erste Semester geht vor sich hin und die ersten Zwischenprüfungen kommen immer näher. Was man bis jetzt nicht verstanden hat, wird immer schwerer aufzuholen. Verstand und Mühe brauchen die Erstis ohnehin, aber auch Organisationstalent und Eigeninitiative sind unverzichtbar. APOTHEKE ADHOC begleitet die nächste Apothekergeneration bei ihren ersten Schritten zwischen Hörsaal, Wohnheim und Labor.

Die Reihen lichten sich schon langsam. „Man munkelt schon im Jahrgang, dass die ersten bereits raus sind“, beobachtet Paul Wohlgemuth nach einem guten Monat im ersten Semester an der Uni Jena. „Man sieht schon, dass welche fehlen, auch zu Pflichtveranstaltungen – was ja nichts Gutes heißt. Jetzt, so ganz langsam, beginnt sich die Spreu vom Weizen zu trennen. Aber ich denke, das wird noch das ganze Semester dauern.“ Wer sich nicht ins Zeug legt, für den kann das Studium auch schnell wieder vorbei sein.

„Man kann schon auseinanderhalten, wer bis um 5 feiern war und dann um 8 in der Vorlesung sitzt und wer einen guten Nachtschlaf hatte“, stellt er schmunzelnd fest. Wobei er direkt hinterherschiebt, dass man daraus natürlich nicht sofort Rückschlüsse auf Studienleistungen ziehen könne. Denn vielleicht organisieren sich die Studienkollegen ja einfach anders und arbeiten dann alles nach, gibt er zu bedenken. Oder sie haben schlicht genug Selbstdisziplin, so wie Sebastian Reuter. „Ich gehe auch feiern, aber dann arbeite ich halt am nächsten Tag mit dickem Schädel. Sowas muss man auch lernen“, sagt der 23-jährige Pharmazie-Ersti von der Uni Kiel. Dabei merke er, dass sich seine Ausbildung vor dem Studium bezahlt gemacht hat. „Wäre ich direkt aus dem Abi an die Uni, würde ich das wahrscheinlich nicht so anpacken können.“

Sportlich ist es aber ohne Zweifel, denn auch ohne nächtliche Leberübungen kommen nur die allerwenigsten ohne gute Selbstorganisation aus. Das weiß auch Anne Brechlin. Bei ihr an der Uni Greifswald sieht es nämlich nicht viel anders aus. Insbesondere in der Physik-Vorlesung – für sie die schlimmsten 90 Minuten der Woche – können sie und ihre Kommilitonen sich mittlerweile die Plätze aussuchen: „Da geht höchstens ein Viertel des Jahrgangs noch hin“, sagt sie. „Ich glaube, 14 Leute habe ich das letzte Mal gezählt – von 64.“ Auch sie selbst sieht nur noch wenig Sinn darin, sich zur Vorlesung zu quälen, nur um dann ohnehin kaum etwas zu verstehen. Ihr Plan: Die Prüfung auf das zweite Semester schieben und in den Ferien das erste nacharbeiten.

Das kann sie sich aber nur in einem Nebenfach wie Physik leisten – geht es um die Chemie, gibt es diesen Puffer nicht. Deshalb gilt: Hinsetzen und büffeln, am besten nicht allein. Anne sieht den Wert darin, sich gegenseitig zu unterstützen. So hat sie mit neun weiteren Kommilitonen eine Whatsapp-Gruppe, in der sie aufgearbeiteten Unistoff austauschen und sich so gegenseitig unter die Arme greifen. „Es fing mit Trennungsverfahren an“, erinnert sie sich. „An der Tafel war da nur ein Bild, aus dem ich nicht ganz schlau geworden bin.“

Also hat sie es zuhause nachgearbeitet – und dann in der Gruppe geteilt. „Ich dachte, wenn ich etwas Gutes gebe, kommt etwas Gutes zurück. Und der Plan ist aufgegangen.“ Mittlerweile sei die Whatsapp-Gruppe ein kleiner Verteiler für Unterrichtsmaterialien, an dem sich allen Mitglieder mehr oder weniger gleichmäßig beteiligen.

Paul hat es gleich eine Nummer größer angepackt, von ihm ging die Initiative für ein neues Tutorium zu anorganischer Chemie aus. „Ja, das ist erstaunlicherweise auf meinem Mist gewachsen“, sagt er und scheint selbst etwas erstaunt darüber. „Ich habe in der Vorlesung gemerkt, dass der Stoff nicht nur sehr kompliziert ist, sondern auch sehr theoretisch und wenig anschaulich.“ Ein eigenes Tutorium für die Pharmaziestudenten gab es zur Chemie-Vorlesung allerdings nicht. „Da bin ich auf ein paar Leute zugegangen und habe sehr gutes Feedback gekriegt. Als ich nochmal in der Whatsapp-Gruppe nachgefragt habe, haben gleich an die 40 Leute reagiert.“

Also wandte er sich an den Professor. „Der fand die Idee sehr gut und war überrascht, dass es so viel Resonanz gibt“, erzählt er. Nun waren noch die organisatorischen Fragen zu klären: Raum, Zeit, Inhalte. Resultat: Jeden Montag können Paul und seine Kommilitonen nun in einem neuen Tutorium die Vorlesungsinhalte anhand von praktischen Anwendungs- und Prüfungsaufgaben einüben. „Dabei erklärt uns der Professor“, für den Paul voll des Lobes ist, „auch anwendungsorientierte Spezifika, die in keinem Lehrbuch stehen.“

Die Nachfrage gab ihm recht: „Wir haben den Hörsaal ganz gut gefüllt“, sagt er. 40 bis 45 Kommilitonen seien gekommen. Stolz darauf, dass er das für seinen Jahrgang in die Hand genommen hat, sei er „höchstens ein bisschen“, beteuert er. „Ich war ja im Prinzip nur Mittelsmann. Außer mit dem Prof zu reden, habe ich ja kaum was gemacht. Eigentlich hab ich ihm nur neue Arbeit aufgehalst.“

Gäbe es mehr Zeit für ein weiteres Tutorium – inhaltlich wäre die Nachfrage da, ist Paul sicher. „Vor allem in Mathematik, da steigen mittlerweile auch immer mehr Leute aus. Aber das ist normal. Wer nicht mitkommt, fragt dann jemanden, der es verstanden hat“, sagt er. Und wenn man nicht für zwei Drittel des Jahrgangs einen weiteren Termin finden kann, muss man eben selbst etwas auf die Beine stellen. „Die Gruppen organisieren sich von allein. Ich habe mir auch selbst ein paar Leute rausgesucht, die wie Streber aussehen“, sagt er und lacht los. Damit meine er selbstverständlich nur, dass die Kommilitonen, mit denen er sich nun regelmäßig trifft, „ihre Sachen zusammenhalten“.

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