Porträt

Die Holmsland-Affäre Désirée Kietzmann, 24.02.2010 11:58 Uhr

Berlin - 

Bezugsnachweis, Importverbot, Offenlegungspflicht: Für Apotheken, die parenterale Rezepturen herstellen, ist das Geschäft in den vergangenen Monaten deutlich komplizierter geworden. Nachdem es im Bereich der Parenteralia-Herstellung jahrelang kaum Kontrollmechanismen gab, wollen Politik und Krankenkassen jetzt genau wissen, ob die Apotheken ihre Ware korrekt beziehen und einsetzen. Das Misstrauen sitzt tief, seit vor drei Jahren die so genannte Holmsland-Affäre bundesweit für Schlagzeilen sorgte.

Rund 100 Apotheken sollen nach Angaben der federführenden Staatsanwaltschaft Mannheim über mehrere Jahre hinweg in Deutschland nicht zugelassene Zytostatika zu günstigen Preisen bei einem spezialisierten Lieferanten bestellt, in Rezepturen verarbeitet und gegenüber den Kassen als Originalware abgerechnet haben. Demnach wäre jede vierte Zyto-Apotheke in die Affäre verwickelt.

Im September 2007 hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen und 66 Wohnungen, Büros und Geschäftsräume in mehreren deutschen Bundesländern und der Schweiz durchsucht. Die Schwerpunkte lagen damals in Berlin, Braunschweig, Mannheim und Stuttgart.

Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC hatten die Apotheken die Ware bei einem Pharmahändler mit Sitz im dänischen Holmsland bezogen. Das Netzwerk hatte ein deutscher Unternehmer aufgebaut, der auf der Isle of Man eine eigene Firma betrieb. Weil ihm die Behörden offenbar aufgrund anderer Aktivitäten die Großhandelserlaubnis entzogen hatten, konnte er die Apotheken nicht mehr selbst beliefern und ließ sich daher für die Vermittlung von Lieferanten und Abnehmern am Geschäft beteiligen.


Das Modell lief über mehrere Jahre gut, bis es zum Zerwürfnis der Partner kam. Der Pharmahändler war eigenen Angaben zufolge skeptisch geworden, als sein Kontaktmann im Jahr 2005 eine ungewöhnlich günstige Bezugsquelle für das Tumortherapeutikum MabThera (Rituximab) in Dubai auftat. Der Händler ließ eine Probe im Labor untersuchen - die Ware stellte sich als Fälschung heraus.

Als sein Partner versuchte, ihn dennoch zum Vertrieb der Plagiate zu überreden, beendete er die Zusammenarbeit und erstattete Anzeige. Die Konsequenz bekam er direkt zu spüren: Mehrere Apotheken und andere Abnehmer ließen ihre Rechnungen offen und blieben dem Pharmahändler insgesamt mehr als 1,5 Millionen Euro schuldig - die Insolvenz des Unternehmens war unvermeidbar.

Doch zunächst stieß der Pharmahändler bei Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei auf taube Ohren. Daher wandte er sich mit einer Liste der belieferten Apotheken an die AOK Niedersachsen und die Techniker Krankenkasse, die schließlich ihrerseits Anzeige erstatteten und den Fall öffentlich machten.

Nach drei Jahren Ermittlungsarbeit hat die Staatsanwaltschaft Mannheim bis heute insgesamt 73 Verfahren an Kollegen in anderen Bundesländern abgegeben; in einigen Fällen wurden die Ermittlungen wegen Geringfügigkeit eingestellt. Ende Januar wurde gegen den ersten beteiligten Apotheker Anklage erhoben; das Landgericht Mannheim muss nun entscheiden, ob es die Klage der Staatsanwaltschaft annimmt.


Dem Apothekeninhaber aus Rastatt in Mittelbaden wird nicht nur Abrechnungsbetrug vorgeworfen, sondern auch die unerlaubte Abgabe von Arzneimitteln und das unerlaubte Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln. Nach den Ermittlungserkenntnissen soll der Pharmazeut alleine im Jahr 2006 für insgesamt 795 Rezepturen nicht verkehrsfähige Medikamente, darunter auch Ware aus Drittländern, eingesetzt haben. Gegenüber dem Preis der Originalware soll er auf diese Weise rund 20 bis 35 Prozent eingespart haben; der für die Kassen entstandene Schaden wird auf rund 420.000 Euro beziffert.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass dem Apotheker bekannt war, dass er keinen Anspruch auf eine Erstattung der von ihm verwendeten Arzneimittel durch die Krankenkassen gehabt hat. Denn nach einem Urteil des Bundessozialgerichts müssen Kassen die Kosten für Arzneimittel, die nicht in Deutschland zugelassen sind, nicht übernehmen.

Inwieweit die verarbeiteten Medikamente von Wirkstoffart und -menge überhaupt den Originalpräparaten entsprachen, war im Nachhinein nicht mehr feststellbar. Eigene Überprüfungen zum Wirkstoffgehalt hatte der Apotheker nicht durchgeführt. Eine nachträgliche Prüfung war offenbar aufgrund nicht korrekt geführter Chargenbücher ebenfalls nicht möglich. Dass auch gefälschte Ware verarbeitet wurde, ist damit zumindest nicht auszuschließen.

Es könnte noch Jahre dauern, bis die Affäre juristisch aufgearbeitet ist. Im Bundesgesundheitsministerium hat man bereits reagiert. Seit Sommer sind Importe nur noch für Zytostatika möglich, die in vergleichbarer Zusammensetzung auf dem deutschen Markt nicht verfügbar sind. Seit Jahresbeginn müssen die Apotheken bei der Abrechnung angeben, welche Fertigarzneimittel sie verarbeitet haben. Die Kassen können Nachweise über die Bezugsquellen verlangen.