Nachtdienstgedanken

Diagnose: Pharmazie-bedingte Mononeuropathie

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Berlin -

Das neue Jahr schreitet mit Vollgas voran. Meine Vorsätze haben sich inzwischen auch schon erledigt: Keine frechen Kunden mehr rausschmeißen und auch im Notdienst freundlich bleiben. Doch das ist Schnee von gestern und damit die Lawine von heute.

Die Rezeptur: Das ist der Ort, an dem wir Kapseln für die kleinsten Patienten herstellen und wo wir diskutieren, ob die Tübinger Nasensalbe plausibel ist oder nicht. Es ist ein Stück Berufsethos, was wir in die Kruken, Kapseln und Medizinflaschen füllen. Wir rühren nicht nur die Bestandteile zu einer homogenen Konsistenz, sondern arbeiten auch jahrelange Erfahrung und Wissenschaft in die Zubereitung ein.

„Du redest gerade wie in der Butter-Werbung“, sagt Max und lacht mich aus. „Wie von Mutterhand gerührt“, fehle nur noch. „Das Studium hat wohl deine Gehirnzellen kaputtgemacht. Ich sehe die Folgen an deinem Leibe. Hättest du doch was anderes gemacht, bloß keine Pharmazie.“ Ihm tue es auch weh, mit welchen Schikanen wir uns tagtäglich herumschlagen müssten.

Ich formuliere es mal positiv: Dass das Studium in irgendeiner Weise meine Psyche beeinflusst hat, möchte ich nicht ganz abstreiten. Vielen Kollegen geht es nicht anders, bei dem einen sieht man die Folgen mehr, bei dem anderen weniger. Aber am Ende des Tages geht es doch darum, dass wir die Fähigkeit haben Arzneimittel herzustellen und dazu berufen sind, diese abzugeben. Das ist doch das, was mich als Apothekerin ausmacht und von Ärzten unterscheidet!

Doch zwei Seelen wohnen in meiner Brust. Auf der einen Seite blühe ich auf, wenn ich in der Rezeptur bin und mal irgendetwas herstellen kann. Das Reich der Substanzen, die verschiedenen Eigenschaften oder auch die Milligramm genaue Einwaage – da wird mir warm ums Herz. „Jetzt kommt auch noch der Goethe in dir heraus“, kommentiert Max und schaut mich an, so ganz nach dem Motto: „Die Arme“.

Auf der anderen Seite sind es die finanziellen Einbußen, die einem den Spaß verderben. Die Honorierung ist überhaupt nicht kostendeckend. Wenn ich die Retax-Gefahr bedenke, ist es ein Minusgeschäft. Es ist sozusagen ein Weg, sich systematisch abzuschaffen. In ein paar Jahren wird die Rezeptur beerdigt.

Vielleicht kann der Nachwuchs sie ja am Leben halten? Jedes Jahr werden in deutschen Apotheken etwa 16 Millionen Rezepturen hergestellt. Die Apothekerkammer bietet Ringversuche an, um die Qualität der hergestellten Rezepturen überprüfen zu lassen, für Pharmazeuten im Praktikum sogar kostenfrei. „Stimmt die Qualität des Produktes? Finden Sie es heraus!“, heißt es.

Ja, aber nicht die Honorierung unseres Handwerks.

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