Wiedervereinigung

Deutschland feiert, ich feiere mit

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Berlin -

Die Amerikaner grillen, die Franzosen halten eine Mega-Parade ab – und wie feiern die Deutschen heute ihren Nationalfeiertag? Mainz ist die Gastgeberstadt für den Tag der Deutschen Einheit. Es wird Currywurst geben, Hüpfburgen und Reden. Ich feiere in Berlin mit, obwohl ich Ausländerin bin.

Als Kind wollte ich Apothekerin oder Ärztin werden. Helfen, heilen, Gutes tun. Warum ich dann Journalistin werden musste, ist leicht erklärt: Meine Begeisterung für Latein hielt sich in Grenzen. Ich sattelte also um. Trotzdem fühle ich mich selbstverständlich problemlos in der Lage, meiner zweiten Heimat ein Rezept auszustellen.

Darauf stehen drei Medikamente. Lebensfreude-Tropfen, der aktuellen politischen Lage wegen ein gutes Ausdauer-Präparat und Kreislauftropfen. Neuerdings wird ja sogar im Deutschen Bundestag gejagt, da sollte man körperlich auf der sicheren Seite sein. Sonst droht ein Herzkasperl. So nennen wir in Österreich den Herzinfarkt.

Auch sonst haben wir im Gesundheitswesen einige Ausdrücke, die jeden Deutschen in Gelächter ausbrechen lassen. „Ich bin im Krankenstand“ ist nicht etwa eine statistische Aussage, sondern besagt, dass man krankgeschrieben ist. Vielleicht mit „Schafplattern“, das sind die Windpocken. Oder man hat die „Wachauer Krankheit“, die es garantiert nur in Österreich gibt. Die Wachau ist eines der berühmtesten Weinanbau-Gebiete des Landes und die nach ihr benannte Krankheit umschreibt Alkoholismus. Wer sich ansteckt, „sandelt“ sich an, wer wieder gesundet, „derfängt“ sich.

Sollten Sie auf einer Österreich-Reise in eine Apotheke müssen, können Sie allerdings unbesorgt sein. Man wird Sie verstehen. Auch das Apotheken-A ist ähnlich, ein wenig schlanker, aber durchaus erkennbar. Es gibt rund 5700 Apothekerinnen und Apotheker, die in 1340 Apotheken arbeiten.

Wenn deutsche Apotheker unter ihrer wirtschaftlichen Lage ächzen, sollten sie mal gen Süden blicken. Die Neugründung von Apotheken ist in Österreich streng reguliert. So ist es Apothekern beispielsweise gestattet, maximal eine Filiale zu besitzen. Es gibt auch nur knapp 30 Filialen im ganzen Land. Mit 16 Apotheken auf 100.000 Einwohner liegt Österreich deutlich unter dem EU-Durchschnitt (31 Apotheken/100.000 Einwohner) bei der Apothekendichte.

Aber das ist nicht der Grund, warum ich damals Wien verlassen habe und heute dankbar die Deutsche Einheit mitfeiern werde. Meine Reise hat mich nach München, Halle/Saale, Hamburg und Berlin geführt und überall habe ich viel für die Völkerverständigung getan. Meine Hauptaufgabe sehe ich diesbezüglich darin, Palatschinken oder Kaiserschmarrn zuzubereiten und mit ulkigen Sachen aus meiner ersten Heimat in meiner zweiten Heimat für Heiterkeit zu sorgen.

Dass wir ein Mautwesen haben, das halbwegs funktioniert, ist beispielsweise kaum zu glauben. Seit 1997 herrscht in Österreich Vignettenpflicht, wir nennen es liebevoll „Pickerl“ (weil man es aufklebt, was in Österreich „picken“ heißt). 2017 ist es in der Modefarbe Türkis erhältlich. Vor einigen Jahren wurde in Wien der Umbau des Flughafens Schwechat erfolgreich beendet. Beendet! Meine Wiener Freunde lachen sich nur noch schief, wenn in Berlin das Wort Flughafen fällt, was ich zu vermeiden versuche. Vielleicht merkt man, dass man integriert ist, wenn man beginnt, sich in seiner zweiten Heimat für Dinge zu schämen, für die man nachweislich nicht verantwortlich ist.

Und wenn man umgekehrt anfängt, sich über Verhaltensweisen seines Ursprungslandes zu wundern. Nehmen wir zum Beispiel diese unbändige Angst der Österreicher, dass die Deutschen das Land übernehmen könnten. Kaum investiert ein deutsches Unternehmen mehr als hundert Euro im Alpenland, gehen die Bedenken los. Dann wird moniert, dass „die Piefke“ überall seien. Hilfe, der unberechenbare große Bruder, was führt er im Schilde? Sorgen die Nachbarn allerdings, wie in diesem Sommer, für Tourismusrekorde (es kamen 306.900 mehr Deutsche als im Vorjahr), regt sich niemand auf. Es ist halt schön in Österreich und die anderen haben es auch bemerkt. Pecunia non olet. (Keine Ahnung, was das heißt, siehe oben.)

Als die Mauer fiel, saß ich in einer Redaktion in München und eine Kollegin, die Berlinerin war, lag plötzlich weinend in meinen Armen. Es war mit das Ende des „Kalten Krieges“, vor dem ich schon als Kind in Wien gezittert hatte. Irgendwo hinter Wien, da musste er sein, der „Eiserne Vorhang“, von dem die Erwachsenen häufig sprachen und bei dessen Erwähnung sie immer ganz ernst wurden. Ich stellte ihn mir vor wie einen riesigen Theatervorhang, nur eben nicht aus rotem Samt, sondern grau, eisern und undurchdringlich. Heute kann ich darüber lächeln, aber damals wurde mir mulmig, wenn ich mich zu weit von Wien in Richtung Osten bewegte. Ob ich abends meine Spielsachen wiedersehen würde?

Ohne den Fall der Mauer wäre ich vermutlich niemals in Berlin gelandet. In einer geteilten Stadt hätte ich nicht leben mögen. In einer großen, wilden, wiedervereinigten schon. An Deutschland liebe ich all das, was in sämtlichen Umfragen immer gelobt wird: Zuverlässigkeit, Erfindergeist, Fleiß. Die negativen Eigenschaften kennt jeder von sich selbst am besten. Heute bleiben sie unerwähnt, denn heute wird gefeiert. Hoch sollst Du leben, Deutschland, lass es krachen. Und alles Gute für alle Herausforderungen, die auf uns zukommen. Ich bin zuversichtlich. Sie werden wieder blühen, die Landschaften. Und die braunen Jäger, sie werden verschwinden, wie sie gekommen sind. Sie werden sich selbst zur Strecke bringen. Darauf eine „Berliner Weiße mit Schuss“.

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