Das „Store Book“ aus dem Callwey-Verlag ist so etwas wie der Oscar der Ladenbauer – von Food bis Fashion, von Optik bis Outdoor. Nur 47 der besten Shop-Designkonzepte schaffen es in dieses Buch in edler Aufmachung. Hunderte Läden bewerben sich jedes Jahr, eine Jury aus Architekten, Gutachtern und Handwerkern wählt die Sieger aus. In diesem Jahr hat es zum ersten Mal ein Laden aus Neumünster in das „Store Book“ geschafft: die Aesculap Apotheke am Kuhberg – in einem Atemzug mit London, Paris und New York, Berlin, Paris, London, Orléans.
Geschäfte von edlen Marken wie Hermés, Valentino, Leica oder The Gallery gelang es mit innovativer Modernisierung oder neugestaltetem Design, im „Store Book“ erwähnt zu werden. Zum allerersten Mal überhaupt hat es in diesem Jahr eine Apotheke aus Schleswig-Holstein geschafft, für das „Store Book“ ausgewählt zu werden.
Die Aesculap Apotheke am Neumünsteraner Kuhberg wurde im vergangenen Jahr vom Apotheken-Innenarchitekten Klaus Bürger neu gestaltet. „Geradlinige Klarheit prägt das gesamte Erscheinungsbild“, schreiben die Autoren des „Store Books“. Erst vor neun Jahren hat Ali Gehrke die Aesculap-Apotheke in Neumünster nördlich von Hamburg übernommen. Inzwischen besitzt der 44-jährige Pharmazeut drei Apotheken und ist ein überaus erfolgreicher Geschäftsmann. Und das, obwohl er aus keiner Apothekerdynastie stammt.
„Es ist eigentlich verrückt“, steht im Store Book. „Während Edel-Drogerien, exklusive Beauty-Labels und Bio-Kosmetik auf traditionell-asketisches Pharmazie-Design setzen, verwandelt sich die gute, alte Apotheke zusehends in ein bunt-modernes Fachgeschäft für Schönheit, Wohlbefinden und Gesundheit. Aus welcher Vielfalt der Ladenbau dabei schöpft, zeigt die neu gestaltete Aesculap Apotheke in Neumünster“, schwärmen die Buchmacher. Die Zeiten, in denen Apotheken eher Laboren als Läden glichen, seien längst vorbei.
Als Fachgeschäfte für Gesundheit gehörten moderne Apotheken heute zum „Weichbild jeder Einkaufslage“. Den zentralen Zugang zur Aesculap-Apotheke markiere eine dunkle, mit vertikalen Lichtspuren versehene Säule vor der konkaven Automatiktür, die wie die gesamte Fensterfront komplett in Glas gehalten sei. Geradlinige Klarheit präge das gesamte Erscheinungsbild. „Poliertes Schwarz und tiefes Blau stehen in durchaus hartem Kontrast zu Weiß und Holz, doch sorgen sie für angenehme Distanz, während die akzenthaft eingesetzten Details aus Metall, Glas und Kunststoff zusammen mit der Beleuchtung das Innere zum Gleißen bringen“, beschreiben die Buchautoren das Objekt.
Die drei Etagen würden über eine „expressiv gestaltete Treppe“ verbunden. Bei der „Inszenierung“ der Apotheke habe die Postmoderne Pate gestanden. Zwei Verkaufstische bildeten die Ankerpunkte der Ladenfläche. Während die zentrale Theke mit einer „offensiv gestalteten Schubladenkonstruktion“ sowie einer „schimmernden, semitransparenten Rückwand“ aufwarte, erstrecke sich der rechteckige Verkaufstisch vor einem virtuellen Warendisplay. „Was aussieht wie ein Regal, ist jedoch eine Touchscreen-Front, die mit dem Lager- und Kassensystem verbunden ist. Nach Ladenschluss verwandelt sich diese funktionale Wand in ein wandfüllendes Digitaltableau mit Außenwirkung“, so das Store-Book.
Auch wenn die Digitalisierung den stationären Handel weiterhin unter Druck setze, möge es viele überraschen, mit wie viel Fantasie, Ehrgeiz und Risikobereitschaft der stationäre Handel sich weiterentwickele, verjünge und verändere, schreiben die Autoren. Der Blick hinter die nackten Umsatzraten offenbare, dass die „vormals angstbesetzte Frontstellung Online versus Offline längst obsolet ist und die erfolgreichen Händler ihre Kunden sowohl im Netz als auch vor Ort begeistern“. Selbst große Anbieter von der grünen Wiese nutzten die Chancen, die sich in der Verknüpfung von Verkaufskanälen böten, für eine Rückkehr in die Innenstädte, die vor allem in Metropolregionen anhaltenden Zuwachs verzeichnen.
„Wenn im Einzelhandel überhaupt noch von einer allgemeingültigen Entwicklung die Rede sein kann, ist es die allmähliche Auflösung starrer Sortimentsgrenzen“, so die Autoren weiter. Nicht wenige Händler hießen ihre Kundschaft vermehrt als Gäste willkommen und warteten dafür mit einer an „Grand-Hotel-Foyers geschulten Behaglichkeit auf“ – mit schweren Polstermöbeln, Teppichen und Blumengestecken.
Pharmazie studiert hat Gehrke an der Universität in Kiel. Nach der Approbation hat er sich nach einer eigenen Apotheke umgeschaut und ist in Neumünster fündig geworden. In der Stadt mit 80.000 Einwohnern gibt es 26 Apotheken, allein im 800-Meter-Umkreis der Aesculap-Apotheke sind acht weitere Apotheken zu finden. Der Konkurrenzkampf ist also hart.
Das Geld zum Kauf der Apotheke lieh sich Gehrke von der Apobank. Das war angesichts des Standorts kein Problem: Die Aesculap-Apotheke liegt in einem Ärztehaus mit mittlerweile 19 Ärzten. Innerhalb von sechs Wochen wurde die Aesculap-Apotheke im Sommer 2015 auf drei Etagen umgebaut. Der Offizinbetrieb lief derweil im Container vor der Baustelle weiter.
An den Kosten hat Gehrke wahrlich nicht gespart – 1,5 Millionen Euro. „Wie viele Stunden bin ich immer in meiner Apotheke? Ich habe das für mich und für meine Mitarbeiter gemacht.“ So eine Investition lässt sich niemals amortisieren. Es geht um eine persönliche und gleichzeitig emotionale Sache.
„Der Kunde soll in meiner Apotheke positive Emotionen spüren und ich bin großzügig“, beschreibt Gehrke seine Lebenseinstellung und sein Geschäftsmodell: „Kein Kunde verlässt meine Offizin ohne kleine Aufmerksamkeiten.“ Auch die 38 Mitarbeiter aller drei Apotheken lässt Gehrke nach eigenen Angaben am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben. „Ich zahle Prämien zwischen 200 und 600 Euro pro Monat.“
Die 1,5 Millionen Euro Umbaukosten will Gehrke in zehn Jahren tilgen. Wirtschaftlich gebracht habe ihm die Investition „gar nichts“. Seitdem kommen nicht mehr Kunden. Aber: „Ich habe es geschafft, unseren Standort nachhaltig abzusichern. Wer weiß, wann der Fremdbesitz in Deutschland aufgehoben wird. Außerdem gehört meines Erachtens gewisser Mut dazu, so eine Investition in gemieteten Räumlichkeiten durchzuführen.“ Und abgesichert hat er sich schon: Der Mietvertrag für die Aesculap-Apotheke läuft 40 Jahre. Damit kann er langfristig planen.
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