Der neue Mann und das Meer Alexander Müller, 06.04.2014 08:03 Uhr
Das Aut-idem-Kreuz gilt auch bei Reimporten, bei Impfstoffen reicht ein Hinweisrezept mit Poster und Minister Gröhe mag das Meer. Alliance rudert vor und zurück, DocMorris versucht es noch einmal. Eine Woche voller Erkenntnisse.
Wer zuerst zieht, verliert. Phoenix hatte das beim AMNOG schmerzhaft erfahren, als die Mannheimer als erste ihre Konditionen umgestellt hatten. Diesmal will oder muss Alliance den ersten Zug machen: Eine Kürzung wurde den Apothekern zaghaft angekündigt, gleichwohl mit einer wenig zaghaften Rückwirkungsklausel. Auf den fast eingeforderten Aufschrei folgte der teilweise Rückzug. Das sah von außen nicht sehr überlegt aus.
Und auch bei Alphega gibt es noch Ärger. Mindestens ein Undankbarer aus dem Volk ficht die Wahl an – dabei hatte man sich so viel Mühe gegeben, es allen recht zu machen… Der neue Alliance-Chef kann sich gleich voll in die Arbeit stürzen, denn Dr. Ralf Lieb hat Anfang der Woche das Weite gesucht. Ein Nachfolger ist zwar noch nicht benannt, wird aber nicht mehr gesucht. Ist halt nicht alles durchsichtig bei Alliance.
Zehn Jahre nach Einführung des Versandhandels möchte DocMorris beweisen, dass man nicht so schlecht ist, wie offenbar doch noch viele denken: 48-Stunden-Liefergarantie, ausgenommen sind lediglich nicht ganz korrekt ausgefüllte Rezepte und Wochenenden – aber wann kommt so was schon mal vor? Da bei Nichteinhalten der Frist – Anruf genügt als Beweis – Rezepte nachträglich mit 10-Euro-Gutscheinen honoriert werden, riecht es nach faulen Rx-Boni. Kann sein, dass die Niederländern binnen 48 Stunden wieder vor Gericht dürfen.
Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob es den Kammerzwang überprüfen muss. Wirtschaftlich und emotional wichtiger als der IHK-Beitrag ist das andere Verfahren, das derzeit in Karlsruhe liegt: Die Überprüfung des BSG-Urteils zu Nullretaxationen. Die Verfassungshüter sind die letzte Hoffnung der Apotheker, oder die vorletzte: Die Kassen könnten im Rahmenvertrag doch noch einwilligen, dass Zechprellen niemandem gut zu Gesicht steht.
Das gilt umso mehr, wenn die Rabattvertragsvortänzer von der AOK Baden-Württemberg gerichtlich ihre „produktneutralen“ Verordnungen durchsetzen. Bei präzisen Angaben wie „Impfstoff gegen Diphterie“ bekommt der Begriff Formfehler gleich einen ganz anderen Klang.
Wie es an eineren Retaxfront weitergeht, ist derzeit noch ungewiss: Der GKV-Spitzenverband hat überraschend ein erstinstanzliches Urteil zu Aut-idem bei Reimporten akzeptiert. Mal sehen, ob die Kassen der Auslegung ihres Dachverbandes folgen.
Die Zeiten, in denen „Frontal21“ in Sachen Formretax eine Lanze für die Apotheker gebrochen hat, scheinen Ewigkeiten her. Nach zuletzt zwei Beiträgen über schlecht beratende Apotheker und Arzneimittelabhängigkeit waren die Skandalnudeln aus Mainz in dieser Woche auf Entzug. Fast jedenfalls: Hinter der wie immer mehr versprechenden Ankündigung „Krankenkassen verweigern Schmerzmittel“ steckte ein Einzelfall der privaten Krankenversicherung DKV.
Nur einer fehlte: Professor Glaeske. Der hatte beim ZDF seinen freien Tag und durfte in Berlin mit der Techniker Krankenkasse vor Gendiagnostik aus der Apotheke warnen. Stada hielt dagegen.
Etwas ruhiger geworden sind auch die Ärzte beim Verordnen des Ruhigmachers Ritalin. Und bevor jetzt böse Zungen behaupten, die Großen Koalition lebe den Abbau des Zappelphilippsyndroms politisch durch ihre Inaktivität vor, sei auf die Statistik verwiesen: Der Einsatz von Methylphenidat ist unter Merkels erster GroKo noch kontinuierlich stark angestiegen und flachte erstmals unter Schwarz-Gelb auf hohem Niveau ab – anders als die Regierung.
Bislang nicht durch Hyperaktivität beim Regierungshandeln aufgefallen ist jedenfalls Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Das muss nicht schlecht sein, gerade für einen Quereinsteiger. Das Kontemplative liegt ihm ohnehin mehr in der Natur als manischer Bewegungsdrang: Im regierungseigenen Videointerview verrät er, dass er das Meer den Bergen vorzieht.
DetailDazu schrieb Thomas Mann in den Buddenbrooks: „Was für Menschen es wohl sind, die der Monotonie des Meeres den Vorzug geben? Mir scheint, es sind solche, die zu lange und tief in die Verwicklungen der inneren Dinge hineingesehen haben, um nicht wenigstens von den äußeren vor allem Eins verlangen zu müssen: Einfachheit… Es ist das Wenigste, dass man tapfer umher steigt im Gebirge, während man am Meere still im Sand ruht. Aber ich kenne den Blick, mit dem man dem einen, und jenen, mit dem man dem anderen huldigt. Sichere, trotzige, glückliche Augen, die voll sind von Unternehmungslust, Festigkeit und Lebensmut, schweifen von Gipfel zu Gipfel; aber auf der Weite des Meeres, dass mit diesem mystischen und lähmenden Fatalismus seine Wogen heranwälzt, träumt ein verschleierter, hoffnungsloser und wissender Blick, der irgendwo einstmals tief in traurige Wirrnisse sah...“ Schönes Wochenende!