Das Ohr kauft mit Hagen Schulz, 28.09.2019 09:07 Uhr
Mehrere Studien zeigen, dass bestimmte Klänge den Kunden zum Kaufen animieren. Welche in der Apotheke besonders verkaufsfördernd wirken, damit beschäftigt sich die Ideenschmiede Responsive Acoustics, kurz ReAct. Das Team um Geschäftsführer Wilbert Hirsch erstellt sogenannte Klangflächen, die den Kunden länger im Verkaufsraum halten und seine Kaufbereitschaft stärken sollen.
In den meisten Apotheken herrscht Stille. Nur rund 1000 Betriebe und damit etwa 5 Prozent aller Apotheken in Deutschland sind Kunden der GEMA, dem Lizenzgeber für die Vervielfältigung von Musik. Teuer ist so eine Musiklizenz dabei nicht. Beträgt die Verkaufsfläche weniger als 100 Quadratmeter, werden 105 Euro im Jahr fällig. „Musik in der Apotheke hat keine so große Bedeutung wie in anderen Branchen“, sieht Gaby Schilcher das ruhige Arbeitsumfeld als einen Grund für die geringe Kundenzahl. Die Fachreferentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der GEMA glaubt dennoch, dass Musik in der Offizin sich lohnt: „Musik erreicht das emotionale Zentrum der Menschen und schafft noch mehr Intimität zwischen Händler und Kunden.“
Ähnlich sieht es Wilbert Hirsch von ReAct. Bis zu 20 Prozent mehr Umsatz seien durch die richtige akustische Untermalung möglich. Jedoch gelte es, den richtigen Ton zu treffen. „Im Supermarkt sollte es beim frischen Obst anders klingen als beim alten Wein. In der Apotheke passen eher entschleunigende Melodien, um einen Vertrauenseffekt zu erzielen“, so Hirsch. Der Filmmusikkomponist ist einer drei Geschäftsführer von ReAct. Das Unternehmen wurde vor vier Jahren gegründet und betreibt sogenanntes „Soundbranding“. Hirsch erklärt: „Wir beschäftigen uns damit, wie Marken klingen.“
Genutzt werden dafür Erkenntnisse aus Wissenschaft und Psychologie. Am Computer entstehen die Harmonien – auffällig ist die Musik nicht. „Die Klänge sind sehr leise, meist gerade so über der Wahrnehmungsgrenze“, verrät Hirsch. Die Töne sollen vor allem von anderen Störgeräuschen ablenken, so der Komponist. Doch nicht jede Apotheke sei für dieses Konzept geeignet. „Eine Apotheke in einem Einkaufszentrum, bei der die Tür die ganze Zeit offensteht, ist nicht der richtige Ansprechpartner für uns“, so Hirsch.
Eine Handvoll Apotheken arbeitet bisher mit ReAct zusammen. „Für uns geht es jetzt erst richtig los“, hofft Hirsch in Zukunft auf steigende Zahlen. In der Branche sieht der Komponist große Offenheit gegenüber seinen Konzepten, vor allem bei jüngeren Apothekern. Skepsis und fehlendem Verständnis will Hirsch proaktiv entgegenwirken: „Wir gehen auf die Apotheker zu und bieten auch an, unsere Functional Music erstmal zu testen.“ Das sei wichtig, denn viele könnten sich unter dem Begriff „akustisches Design“ nur wenig vorstellen.
Für Apotheker habe die Hintergrundmusik in der Offizin mehrere Vorteile. „Es wird dadurch nicht nur der Verkauf angekurbelt. Die Kunden nehmen auch die Beratungsqualität positiver wahr, was für Apotheker ja ein zentraler Punkt ist“, erzählt Hirsch. Auch wenn der ReAct-Dienst freilich etwas koste, seien die Kompositionen dafür GEMA-frei und können ohne Lizenzgebühren verwendet werden. „Zahlen tut ja niemand gerne“, wie auch Schilcher von der GEMA lachend zugibt. Dass den Kunden seine Musik auf die Nerven gehen könnte, fürchtet Hirsch nicht: „Wir haben mit Forschungsinstituten beim Komponieren zusammengearbeitet, um die besten Klänge herauszufinden. Das Gute ist: In der Psychologie funktionieren wir alle gleich.“ Was bei einem Kunden wirke, wirke oft auch bei allen anderen.
Daher sei es nicht entscheidend, in welchem Gemütszustand der Kunde die Apotheke betritt oder wo diese liegt: „In der Offizin wünschen wir uns Entschleunigung und Vertrauen. Das betrifft Stadtmenschen und Landbewohner gleichermaßen, ebenso wie entspannte und gestresste Menschen“, so Hirsch. Das liege an der Sensitivität des Ohrs, über das 40 Prozent aller Sinneswahrnehmungen empfangen werden. Mit Musik könnten noch gezieltere Effekte erzielt werden als mit der entsprechenden Farb- und Lichtauswahl. „Damit gibt man dem Kunden ein Gefühl, dass er gerne wieder in die Apotheke kommt“, fasst der Komponist zusammen.