Schlafstörungen

Das Geschäft mit dem Schlaf: Intensivkurs statt Pillen

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Berlin -

Tablette, Technikgadget oder Spezialmatratze – bei Schlafstörungen haben Betroffene die Qual der Wahl. Mit dem Versprechen einer erholsamen Nacht wollen viele Anbieter Geld verdienen. Doch längst sind es nicht mehr nur OTC-Produkte: Um die weitverbreiteten Schlafstörungen herum ist ein ganzer Wirtschaftszweig gewachsen.

Baldrian für zehn Euro, spezielle Decken für 200 Euro oder die Luxusmatratze für 8000 Euro – wer bei Schlafproblemen im Internet Hilfe sucht, bekommt den Eindruck, dass eine erholsame Nacht nicht zum Nulltarif zu haben ist. Rund um das Thema Schlaf hat sich eine Industrie etabliert, die nahezu alle Aspekte abdeckt: Programme vermessen die Nachtruhe, Nahrungsergänzungsmittel sollen beim Einschlafen helfen, physische Hilfsmittel die Schlafqualität verbessern.

Wer Schlafstörungen hat oder glaubt, welche zu haben, greift oft zu Arzneimitteln. 228 Millionen Euro werden nach Auskunft des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) pro Jahr mit Schlaf- und Beruhigungsmittel umgesetzt – Tendenz steigend. Die Präparate sind in den Top 10 der umsatzstärksten rezeptfreien Mittel. „Aus schlafmedizinischer Expertensicht ist es so, dass wir nur die Produkte empfehlen können, deren Wirksamkeit belegt ist“, sagt Hans-Günter Weeß vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) mit Sitz in Nordhessen. Und betrachte man Studien, dann gebe es für viele pflanzliche Mittel keinen Wirksamkeitsnachweis. „Wenn etwas hilft, dann bei leichten Schlafstörungen am ehesten noch Baldrian hoch dosiert.“

Auch erhältlich sind aber Nahrungsergänzungsmittel, zu denen auch Vitamine und Mineralstoffe zählen. Das Schlafhormon Melatonin beispielsweise gibt es in beiden Formen. „Freiverkäufliches Melatonin scheint bei Ein- und Durchschlafstörungen nur zu helfen, wenn diese beim Jetlag auftreten“, erklärt Weeß. Verschreibungspflichtige Schlafmittel wirken zwar eher, können aber gefährlicher werden. „Primäre Schlafmittel, sogenannte Benzodiazepine und auch Z-Substanzen, können zur Gewöhnung und Abhängigkeit führen.“

Die Angebote für Menschen mit Einschlafstörungen sind aber weitaus vielfältiger. Dass Schlaf kommerzialisiert wird, sieht auch Schlafmediziner Weeß so: „Das fällt auch leicht, weil es keine ausreichenden Gesundheitsangebote für Menschen mit Schlafstörungen gibt“, sagt er. Das sei ein Armutszeugnis für das Gesundheitssystem. Weeß gilt als Experte in Sachen Schlaf. Er ist Leiter des interdisziplinären Schlafzentrums am Pfalzklinikum in Rheinland-Pfalz und Buchautor.

Die Nachtruhe genieße im Gegensatz zu früher einen größeren Stellenwert – auch durch die Forschung. „Wir können sehr gut belegen, dass Schlaf ein wichtiges Reparatur- und Regenerationsprogramm des Menschen ist“, erklärt Weeß. Bei wie vielen Menschen dieses Programm nicht richtig läuft, ist umstritten. Weeß sagt: „6 Prozent der Bevölkerung leiden an behandlungsbedürftigen Ein- und Durchschlafstörungen. 70 Prozent leiden länger als ein Jahr, 50 Prozent länger drei Jahre.“

Dafür gibt es auch immer mehr alternative Angebote. Physische Einschlafhilfen sind zum Beispiel schwere Decken, die ein Wohlgefühl erzeugen sollen. Die Wirkung solcher Hilfsmittel ist nicht belegt, wirken können sie trotzdem. „Alles was zur gedanklichen, emotionalen und körperlichen Entspannung in der Bettsituation führt, kann helfen“, sagt Weeß.

Matratzen-Hersteller profitieren relativ wenig von der neuen Wertschätzung des Schlafs. Nach Angaben des Fachverbands der Matratzenindustrie ist gesunder Schlaf zwar das wichtigste Verkaufsargument, trotzdem schwankt der Einzelhandelsumsatz von Jahr zu Jahr. „Es passiert das, was man auch in vielen Branchen beobachten kann: Die Mitte bricht weg“, sagte eine Verbandssprecherin. Der Markt teile sich zunehmend in Billiganbieter und Hersteller im oberen Preissegment.

Einen Boom gab es bei Fitnessarmbändern. 26 Prozent der Deutschen verwenden sie laut Digital-Branchenverband Bitkom. Die Erfassung von Schlaf und Schlafqualität gehört zu den Funktionen der Geräte. Schlafmediziner sind nicht begeistert. Sich verstärkt selbst zu beobachten, sei kontraproduktiv: „Anspannung ist der Feind des Schlafes“, erklärt Weeß. Zudem beruhten die meisten Schlaftracker auf Bewegungs- und Pulsmessungen, abhängig von der Tageszeit. Das sind aus meiner Sicht „Steinzeitmethoden“ der Schlafforschung.“

Erste Wahl bei der Behandlung von Schlafstörungen sind laut Weeß mittlerweile Schlafkurse. „Auch da nimmt der Markt zu. Es ist wichtig, sich an Personen zu wenden, die die psychotherapeutische und schlafmedizinische Qualifikation haben.“

Bei den Kursen mache man den Patienten „zur eigenen Schlaftablette“, zum Beispiel mit Entspannungstraining, Gedankenstopptechniken und Bettzeitenrestriktionen. In zwei Tagen Intensivkurs könne man Zweidrittel der Teilnehmer zu einem deutlich besseren Schlaf verhelfen. 200 Euro müssen Teilnehmer dafür zahlen – auch hier ist Schlaf eben ein Geschäft.

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