Nachtdienstgedanken

Coronavirus: Verunsicherte Kunden und viel Aufklärung

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Berlin -

Seit Beginn des Jahres ist das neue Virus 2019nCoV in allen Medien vertreten. Zunächst begrenzte sich die Infektion auf China, mit der Bestätigung des ersten Falls in Deutschland ist die Bevölkerung verunsichert. In der Apotheke sind Atemschutzmasken ausverkauft – auch während des Notdienstes von Sarah Sonntag sind die Regale leer. Noch dazu hat jetzt die Grippesaison begonnen.

Der Dienst beginnt recht entspannt. Draußen ist es endlich kalt geworden und für die kommenden Tage ist Schnee angekündigt. So sitzt Sarah Sonntag mit einer heißen Tasse Tee vor ihrem Computer und hofft auf ein paar spät-winterliche Tage. Während sie so in Gedanken schwelgt kommt Fantaschale Max um die Ecke und hat schlechte Neuigkeiten für sie: „Sarah, in der Rezeptur haben wir nur noch eine Atemschutzmaske. Was machen wir, bei all den anstehenden Rezepturen in der kommenden Woche?“ Sarah wird aus ihrer Traumwelt gerissen und ihr wird ganz unwohl bei dem Gedanken, dass sie nicht weiß, wie sie neue FFP3-Masken ordern soll.

Seitdem der erste Fall des Coronavirus bestätigt wurde, fragen zahlreiche Kunden nach Mund- und Atemschutz. „Ich weiß, Max“, schnauft Sarah, „die letzte Maske habe ich extra für unsere PTA zurücklegen lassen. Ich muss Montag wohl mal bei den anderen Apotheken in der Nähe nachfragen, ob sie noch eine für uns übrig hätten.“ Denn über den Großhandel bekommt Sarah seit einer Woche weder einen einfachen Mundschutz noch FFP2- oder FFP3-Masken.

Sie versteht manche Kunden einfach nicht: „Weißt du Max, der einfache Mundschutz dürfte eigentlich gar nicht ausverkauft sein. Der bringt gar nichts. Da kann ich mir genauso gut einen Schal um Nase und Mund binden.“ Max verdreht die Augen und stimmt Sarah zu: „Manche Kunden scheinen so von ihrer Angst getrieben, dass sie lieber die einfache, wirkungslose Variante nehmen, als gar keine.“ Sarah nickt und fügt an, dass bei der Anzahl an verkauften Mengen eigentlich die halbe Stadt maskiert rumlaufen müsste, das Straßenbild aber ein anderes sei. „Die Kunden bemerken später sicherlich, wie unkomfortabel das dauerhafte Atmen durch eine FFP3-Maske ist. Da geben viele sicherlich schnell auf und legen den Schutz wieder ab.“

Während die beiden so über den Sinn und Unsinn von Atemschutzmasken diskutieren, geht die Notdienstklingel. Sarah geht zur Klappe, öffnet sie und sieht eine besorgte junge Frau mit Rollkoffer vor sich stehen. „Guten Abend, was kann ich für Sie tun?“ Die Frau zieht sich ihr Halstuch bis über den Nasenrücken: „Guten Abend, ich komme gerade vom Flughafen, genauer gesagt aus Thailand. Ich war da für drei Wochen, habe dort Urlaub gemacht, nun habe ich Halsschmerzen. Ich glaube auf meinem Rückflug waren Passagiere mit Corona an Bord.“

Die junge Frau, die für die deutschen Temperaturen viel zu dünn angezogen ist, zieht die Nase hoch und räuspert sich auffällig. „Wissen Sie, da waren ganz viele mit Husten und Schnupfen, dazu die Klimaanlage, die die Luft nur umwälzt, Sie wissen schon.“ Sarah versucht ihren Unmut zu verstecken und versucht die Kundin zu beruhigen. Sie informiert die Kundin darüber, dass in dem Gebiet, in dem sie Urlaub gemacht hat, keine Corona-Fälle bekannt sind und die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung gering sei.

Nach weiteren fünf Minuten geht Sarah nach hinten und holt ein Fläschen Desinfektionsmittel und einen Informationsflyer zum Thema Corona. „Mehr kann ich leider nicht für Sie tun. Alle Atemschutzmasken sind ausverkauft. Sollten Sie sich morgen früh extrem schlecht fühlen, gehen Sie bitte zum Arzt. Es könnte sich in Ihrem Fall neben einer Erkältung auch um eine echte Grippe handeln. Die sollten sie ärztlich abklären lassen.“ Enttäuscht und verunsichert bezahlt die Kundin, nimmt den Flyer entgegen und geht.

Sarah lässt sich auf ihren Stuhl sinken und seufzt: „Siehst du Max, Verunsicherung, das ist das, womit ich schon die ganze Woche konfrontiert werde. Und ich kann sie den Kunden nicht nehmen. Es scheint, als wollten die Kunden die absolute Bestätigung, dass das neue Virus ein super gefährlicher Keim sei.“ Max rückt näher zu Sarah und versucht ihren Unmut zu vertreiben: „Weißt du Sarah, so ist das manchmal, wenn die Menschen aus den Medien nur die Bilder aus den aktuellen Geister-Metropolen und leergekauften Apotheken kennen. Viele übertragen diese Bilder dann einfach auf Deutschland – auch, wenn das gar nicht zutrifft.“

Nach einer Woche ohne Mundschutz an Lager ist auch Sarah wütend. Sie hinterfragt in einer ruhigen Minute die eigentliche Tragweite der Epidemie. Sie erinnert sich an die Meldung, dass die Neujahrsferien bis zum März verlängert worden sind und viele Fabriken stillstehen. Ein guter Freund von ihr arbeitet rund 700 km von Wuhan entfernt, seit drei Wochen nur noch von zu Hause aus. Was bedeutet das für die Pharmafirmen? Sarah weiß, dass zahlreiche Rohstoffe in China produziert werden, doch wie viele genau, dass weiß wohl niemand. Da kommt auch sie in Sorge: „Sag mal Max, glaubst du, dass es bald zu noch mehr Lieferengpässen aufgrund des Coronavirus kommen wird? Max senkt den Blick und atmet tief aus: „Anscheinend weiß das nicht mal die zuständige Behörde so genau – wie soll ich dann die Situation einschätzen?“

Sarah nippt an ihrem Tee und merkt wie sie die Müdigkeit überkommt. Der Nachtdienst schreitet voran und Sarah versinkt im Schlaf. In ihren Träumen sieht sie endlose rote Defektlisten, überfüllte Isolierstationen mit überarbeitetem Pflegepersonal, Berichterstattungen in denen die Krankenkassen die hohen Kosten der stationären Aufnahmen nicht mehr zahlen wollen und Kunden mit eingerissenen Fingern, entstanden durch den ständigen Gebrauch von Desinfektionsmitteln. Sarah ist froh, als die Notdienstklingel sie aus dem Schlaf reißt. Diesmal steht ein fiebriger, älterer Herr vor ihr der tatsächlich ihre Hilfe braucht: „Es scheint als hätten Sie die Grippe, ich gebe Ihnen etwas für die Nacht mit und morgen gehen Sie bitte zum Arzt.“

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