Corona-Gründung: Apothekerin ist insolvent Carolin Ciulli, 07.04.2022 10:54 Uhr
Die Erlenhof-Apotheke hat zwei Jahre nach der Gründung Insolvenz angemeldet. Die Pandemie und die Lage sorgten dafür, dass die erhoffte Frequenz ausblieb. Inhaberin Nadine Titze sah sich zuletzt jedoch auf „einem guten Weg“ und wollte ihren ersten eigenen Betrieb in Eigenverwaltung sanieren. Dann kündigten drei von vier Angestellten.
Als sich Titze für die Anmietung ihrer ersten Apothekenräume entschied, war an dem Standort noch eine Baugrube. „Ich habe dem Projekt zugesagt, da bestand nur ein Loch im Boden“, sagt die Apothekerin. Geplant war, in einem Neubaugebiet in Ahrensburg in Schleswig-Holstein ein Ärztehaus mit Apotheke zu eröffnen. Der Rewe direkt nebenan sollte für Frequenz sorgen. Doch es kam anders.
Bevor Titze das Projekt Selbstständigkeit anging, war sie unter anderem als angestellte Approbierte und für die Techniker Krankenkasse (TK) unter anderem als Arzneimittelcoach tätig. „Es war nie von Anfang an mein Traum, eine Apotheke zu eröffnen. Ich habe mich eher gefragt, wie ich die Dinge, die ich gerne mache, unter einen Hut bringen kann.“ Im Herbst 2019 nahm ihre Apotheke langsam Form an. Die Baustelle entwickelte sich, Fenster waren installiert und Titze war auf Mitarbeitersuche.
Apothekerin meistert Hürden
Der Weg bis zur Eröffnung war herausfordernd, doch Titze meisterte die Hürden: Wenige Monate vor der Eröffnung gab es Diskussionen mit der Bank, da der benötigte Kredit in Frage gestellt wurde. Hintergrund war ihre Erkrankung, mit der die Apothekerin offen umgeht: Vor etwa zehn Jahren wurde bei ihr eine Depression diagnostiziert. Die Erkrankung gehört der deutschen Depressionshilfe zufolge zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Schwere am meisten unterschätzten Erkrankungen. Seit Februar 2017 ist Titze stabil.
Am 13. Februar 2020 eröffnete sie die Apotheke. Das Coronavirus wurde in dieser Zeit immer mehr zum Thema. „Während meiner Planung war davon noch nicht die Rede. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt und habe es ehrlich gesagt nicht so ernst genommen.“
Kurz nach der Eröffnung kam der erste Lockdown. Nicht nur deshalb blieben Kund:innen nach anfänglichen „Hamsterkäufen“ aus. Auch der Standort präsentierte sich anders als erwartet: „Ich hatte noch ein halbes Jahr nach der Eröffnung einen Bauzaun vor der Tür. Das ging so weit, dass der Außendienst dachte, ich wäre gar nicht hier.“ Dazu kam, dass die Sichtbarkeit der Apotheke schlecht gewesen sei.
Direkt vor dem Gelände liege ein kleiner Park, der jedoch höher gelegen sei, als die Eingänge der Apotheke. „Man sieht uns von der Straße aus nicht.“ Auch der Rewe nebenan, der geplante Hauptfrequenzbringer, enttäuschte. Denn die Kund:innen mussten von dort einen kleinen Berg runterlaufen, um zur Apotheke zu kommen. Auch von dort sei ihre Apotheke nicht zu sehen gewesen. Die vom Projektverantwortlichen versprochenen Werbeschilder seien nicht genehmigt worden.
Zäher Kampf um Hinweisschilder
Titze versuchte selbst, mehr Sichtbarkeit für ihre Apotheke zu schaffen. Denn die Rückmeldung der Kundschaft war schockierend: „Wir wurden in der Apotheke angesprochen, dass man zwar wusste, dass hier eine Apotheke ist, aber dass man uns nicht gefunden hat.“ Zusätzlich zu Flyern wollte sie Werbeschilder anbringen. Bei der Stadtverwaltung beantragte sie eine Erlaubnis für das Anbringen von Hinweisschildern. „Die Genehmigung vom Vermieter hat sieben Monate gedauert“, sagt sie. Die finale Erlaubnis der Stadt habe sie im Januar dieses Jahres erhalten.
Am 10. Februar kam die Mitteilung der Bank, dass sie die Apotheke nicht weiter unterstützen werde. Der Großhandel habe nicht mehr abbuchen können, sagt sie Apothekerin. Zehn Tage später habe sie Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit beantragt. Aufgeben wollte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht und visierte eine Sanierung in Eigenverwaltung an. „Ich habe sechs Wochen gerechnet und wusste, ich würde es schaffen.“ Denn zuletzt habe sich die Kundenzahl sukzessive erhöht. „Wir waren seit September 2021 auf einem guten Weg und erreichten langsam positive Betriebsergebnisse. Das war schön.“
Angst vor Jobverlust
Doch Titze verlor die Unterstützung im Team. Plötzlich kündigten drei von vier Angestellten. Die Chefin kann aus menschlicher Sicht die Reaktion verstehen: „Wenn man Insolvenz hört, ist automatisch die Angst vorhanden, seinen Job zu verlieren.“ Aber wenn man den Betrieb rechtzeitig saniert, könne er gerettet werden. Zwei neue Mitarbeiter:innen seien nötig – bestenfalls eine Apotheker:in und PTA, aber auch mit einer PTA und einer PKA würde Titze es versuchen.
Natürlich weiß sie, dass sie schnell neues Personal finden müsste. „Ende nächster Woche werden die Waren rausgeholt.“ Die Apothekerin schätzt ihre Lage realistisch ein. Sie versuchte nicht, erst noch neue Angestellte zu finden. „In Eigenverwaltung darf ich bestimmte Sachen wie betriebliche Altersvorsorge nicht zahlen. Außerdem möchte ich niemanden in eine prekäre Situation bringen.“
Für sie persönlich sei das Aus ihrer Apotheke „schrecklich“. „Ich habe mich so wohl gefühlt. Wir haben hier ein super schönes Arbeiten und viele tolle Kunden. Die Apotheke ist super schön.“ Sie sei „traurig“, die Apotheke zum 12. April schließen zu müssen. „Dieser Schritt ist für mich sehr schmerzhaft und ich gehe ihn nicht gerne. Trotzdem hoffe, ich bald auf diese zwei Jahre lächelnd zurückblicken zu können.“
Angesichts sinkender Apothekenzahlen treibt nicht wenige Angestellte die Sorge um, dass es auch ihren Arbeitgeber treffen könnte, wie eine aposcope-Marktanalyse „Vor-Ort-Apotheken in Deutschland – Status Quo und Perspektiven 2022“ zeigt. Der Befragung zufolge gehen fast drei Viertel der Apothekenteams davon aus, dass die Zahl der Apotheken in diesem Jahr weiter sinken wird (73 Prozent). Unter den Inhaber:innen sind es 85 Prozent, unter allen Approbierten 83 Prozent. Unter den PTA gehen 64 Prozent von einem rückläufigen Trend aus. Auf der anderen Seite erwarten nur 4 Prozent der Apotheker:innen und 9 Prozent der PTA, dass die Zahl wieder steigen wird. 12 beziehungsweise 24 Prozent sind der Meinung, dass die Zahl unverändert bleibt.
Die Bundesregierung hatte die Insolvenzantragspflicht vorübergehend ausgesetzt, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzumildern. Das Gesetz sah diese Schonfrist zunächst bis Ende Januar 2021 vor. Die wurde noch einmal bis Ende April 2021 verlängert. Doch seit dem 1. Mai 2021 gilt die Insolvenzantragspflicht wieder uneingeschränkt.
Weiterer Rückgang der Apothekenzahl erwartet
Apotheken sind davon aktuell selten betroffen. Denn sie hatten auch während der Lockdowns durchgehend geöffnet und durch verschiedene Maßnahmen – Masken, Tests, Zertifikate – sogar zusätzliche Einnahmen. In der Branche besteht eher die Sorge, dass vielen Betrieben die steigenden Kosten auf die Füße fallen, wenn diese Sondereffekte nach der Pandemie wegfallen. Ein Betriebsvergleich aus dem vergangenen Jahr deutet bereits darauf hin, dass die Schere zwischen kleinen und großen Apotheken weiter auseinandergegangen ist und entsprechend mit einem weiteren Rückgang der Apothekenzahl zu rechnen ist.
Einen Anstieg an Insolvenzen unter Apotheken hat es nach der Einschätzung von Steuerberatern aus der Branche nach der Pleite des Rechenzentrums AvP gegeben. Die Apotheken sind teilweise auf sechs-, in Einzelfällen mit siebenstelligen Forderungen sitzengeblieben sind. Das Insolvenzverfahren läuft noch, über eine mögliche Quote gibt es bis heute keine verlässlichen Aussagen. Doch einige Apotheken, die es schon vor der Pleite des Rechenzentrums schwer hatten, konnten diese zusätzliche Belastung nicht akut schultern. Genaue Zahlen zu Insolvenzen mit dieser Ursache gibt es allerdings nicht.