Urteil

Chefarzt wegen Vergewaltigung verurteilt

, Uhr aktualisiert am 17.10.2016 17:26 Uhr
Bamberg -

Ein ehemaliger Chefarzt hat in seiner Klinik Patientinnen und Mitarbeiterinnen sexuell genötigt, missbraucht und auch vergewaltigt. Das Gericht sieht das als erwiesen an. Der Mann aber kämpft weiter um seine Reputation.

Medizinische Motive und sonst nichts – das ist bis zuletzt seine Verteidigung. Ein Chefarzt am Klinikum Bamberg führte mehreren Frauen Gegenstände ein oder einen Finger und fotografierte dann ihren Intimbereich. Zuvor habe er die jungen Frauen betäubt, sagt das Gericht. Alles fachlich gerechtfertigt, sagt er. Ein Chefarzt gilt viel in Deutschland, doch dieser Mann hat auf seinen Titel wohl zu sehr vertraut.

Zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt das Landgericht Bamberg den 51-Jährigen. Wegen schwerer Vergewaltigung, schwerer sexueller Nötigung, schweren sexuellen Missbrauchs, gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Intimsphäre – in mehreren Fällen. Fünf Jahre Berufsverbot als Mediziner kommen dazu.

„Ich bin weder Sex-Arzt noch Dr. Pervers“, beteuerte der frühere Chefarzt für Gefäßmedizin zu Prozessbeginn. Er habe kein sexuelles Motiv gehabt, sondern neue Behandlungsmethoden erproben wollen. Kurz vor dem Urteil am Montag hebt er noch einmal an und liest eine Erklärung vor. „Nach bestem Wissen und Gewissen“ habe er als Mediziner gehandelt, immer leitliniengetreu.

Das sieht der Vorsitzende Richter Manfred Schmidt anders: Das sexuelle Motiv liege auf der Hand. Es gebe keinen Grund, die Frauen zu betäuben – auch keinen innovativen. Und: „Er hat das Vertrauensverhältnis verletzt.“

Die Anwälte des Mannes kündigen Revision an, sie haben teils eine Bewährungsstrafe, teils Freispruch gefordert. Eine Geldstrafe, so einer von ihnen in seinem Plädoyer, sei angemessen – in einem Fall. Dieser Fall ist Nummer 13 auf der Liste der Staatsanwaltschaft. Es ist der einzige ohne medizinischen Kontext und der einzige, zu dem der Spezialist für Thrombosen keine fachliche Erklärung zu liefern versucht.

Es geht um eine Nacht in einem Hotel, mit der Patentochter seiner Frau. Er lädt die 18-Jährige zu einem Musical ein, trinkt mit ihr Schnaps. Später, im Zimmer, liegt sie auf dem Bett. Sie habe mit einem Einzelzimmer für sich gerechnet, so die Anklage, aber es ist ein Doppelzimmer. Er versteckt eine Kamera und filmt die Frau, teilweise nur in BH und Slip. Und er filmt sich, wie er mit einem „stabförmigen Gegenstand“ über ihren Körper streicht.

Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb hat ihm vorgeworfen, die Intimsphäre der Frau verletzt zu haben, und er schließt von diesen Videos auf die anderen Fälle. Lieb sieht darin sexuelle Handlungen – und sieht sie deshalb auch in den Bildern und Videos von den zwölf jungen Frauen aus der Klinik. Keiner soll der damalige Chefarzt gesagt haben, dass er sie fotografieren oder filmen würde. Die Dateien aber hat er gespeichert. Darauf ist zu sehen, dass er manchen der Frauen, die ansprechbar, aber willenlos gewesen sein sollen, eine Ultraschallsonde einführt. Oder Sexspielzeug, sogenannte Butt-Plugs, vaginal und anal. Oder seinen Finger. Den Frauen sagt er, die Butt-Plugs seien eine „Bluetooth-Gegensonde“.

Die letzte von diesen Frauen hat den Prozess angestoßen, vor mehr als zwei Jahren. Da arbeitet sie als Medizinstudentin in der Klinik, und der angesehene Arzt soll ihr erzählt haben, er nehme an einer Studie zu Beckenvenen teil. Sie erklärt sich zu einer Untersuchung bereit. Er kündigt an, ihr ein Kontrastmittel zu geben. Doch danach kommt es der damals 26-Jährigen seltsam vor, dass sie sich an die Untersuchung nicht erinnert. Ihr Vater, der auch Arzt ist, nimmt ihr Blut ab. Ein Labor findet darin Midazolam – ein Betäubungsmittel.

Auch den elf Frauen vor ihr soll er zwischen 2008 und 2014 ein Kontrastmittel angekündigt und stattdessen Midazolam gegeben haben – das Gericht hält das für erwiesen. Bis zuletzt sagt der Ex-Chefarzt nicht, welches Mittel das gewesen sein soll, er hat es in keinem Befund vermerkt. Alle Frauen berichten, sie könnten sich gar nicht oder nur sehr vage erinnern an die Termine.

Der Ex-Chefarzt aber bleibt bei seiner Version. Vor Gericht sagt er: Es tue ihm leid, was die Frauen beim Betrachten der Bilder empfunden hätten. Vielleicht, sagt er, hätte er ihnen deutlicher erklären sollen, was er mache – aber das mache ihn nicht zum Sexualstraftäter. Ein Gutachter attestiert dem Mann, er neige zur Selbstüberschätzung, zur Grenzüberschreitung. Im Gerichtssaal ergreift er als Angeklagter oft selbst das Wort, listet seine Erfolge auf, erklärt alle Sachverständigen für ungeeignet.

Seit August 2014 sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft. „Er ist aus einer Chefarzt-Stellung so tief gefallen, wie es fast tiefer nicht geht“, sagt auch Richter Schmidt. Ein juristisches Urteil gibt es erst jetzt, das gesellschaftliche ist schon vor zwei Jahren gefallen. Das machen die Verteidiger des Mannes den Behörden und den Medien zum Vorwurf: Sie hätten „Vorurteilsproduktion“ betrieben. Als die Vorwürfe im August 2014 bekanntwerden, ziehen die Klinik Bamberg und die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie Konsequenzen. Der Chefarzt, der anerkannte Fachmann, ist keiner mehr.

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