Carl Djerassi

Vater der Pille verstorben dpa, 03.02.2015 15:02 Uhr

San Francisco - 

Frauen haben sein Leben geprägt, er ebnete den Weg für die feministische Bewegung: Als Miterfinder der Anti-Baby-Pille ist der Chemiker Carl Djerassi weltberühmt geworden. Aber der gebürtige Wiener, der am Samstag im Alter von 91 Jahren im kalifornischen San Francisco an Krebs gestorben ist, war mehr als ein erfolgreicher Wissenschaftler. Er war ein Mann der drei Welten, machte sich auch als Kunstmäzen und Dramaturg einen Namen. Seine Theaterstücke werden auf Bühnen in aller Welt aufgeführt. Seit dem Suizid seiner Tochter Pamela, einer Malerin, unterstützt er außerdem junge, finanzschwache Künstler.

Djerassi selbst sah sich in den vergangenen Jahren auf seinem Weg zwischen Natur- und Geisteswissenschaften vor allem als Autor – auch wenn er mit dem Titel seiner Autobiografie „Mutter der Pille“ eine Bezeichnung für sich selbst geprägt hatte, die ihm dauerhaft anhaftete. „Das irritiert mich oft: Ununterbrochen werde ich nur zur Pille befragt”, sagte er im Mai 2014 der österreichischen Zeitung „Presse”. Er sei gerade einmal 28 Jahre alt gewesen, als er das Verhütungsmittel mit Kollegen in Mexiko erfunden habe. Jetzt sehe es so aus, als habe er seit damals nichts mehr getan. „Seit 25 Jahren habe ich mein Leben total verändert. Es gibt nicht viele Chemiker, die später auch Schriftsteller werden.”

Dennoch: Vor allem für Frauen gilt Djerassi hauptsächlich als der Mann, der zu ihrer Befreiung beitrug. Die Journalistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fasste es wohl stellvertretend für viele zusammen: „Djerassi verdient ein Denkmal. Die Pille ist ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation der Frauen. (...) Auch ich habe die Pille als eine ungeheure Befreiung empfunden.”

Dabei mochte Djerassi den Begriff „Anti-Baby-Pille” überhaupt nicht, ja, lehnte ihn ab. Denn das Hormonpräparat richte sich nicht gegen Kinder, es sei vielmehr ein Mittel „für die Frauen”, hat er betont. Bis zuletzt war er über die enorme Bedeutung der Erfindung erstaunt: „Niemand hatte damals geglaubt, dass Frauen das Mittel einmal so stark benutzen würden.”

Die jungen Jahre des später mit Auszeichnungen überhäuften Djerassi waren von der Nazi-Herrschaft geprägt. Als Sohn eines jüdischen Arztehepaars 1923 in Wien geboren, floh Djerassi 1938 nach Bulgarien, die Heimat seines Vaters. Die Mutter nahm ihn dann mit in die USA. Doch die 20 Dollar, die sie bei sich trug, reichten nicht lange. Djerassi schrieb an Eleanor Roosevelt, damals Amerikas First Lady, und bat um Vermittlung eines Stipendiums. Er hatte Glück und konnte studieren - allerdings nur Chemie. Eine Ausbildung zum Arzt war für ihn unerschwinglich.

Im Laufe seiner Forscherkarriere veröffentlichte Djerassi etwa 1200 wissenschaftliche Arbeiten, etwa zur Synthese des Hormons Cortison. Auch diese Errungenschaft sichert ihm einen prominenten Platz in der medizinischen Forschungsgeschichte: Cortison wurde weltweit zu einem Mittel bei der Bekämpfung vieler Krankheiten. Der große Durchbruch bei der Empfängnisverhütung kam 1951: Djerassi gelang zusammen mit zwei Kollegen die künstliche Herstellung des Schwangerschaftshormons Gestagen. Daraus ging einige Jahre später die Anti-Baby-Pille hervor.

Auf die Frage, ob das Hormonpräparat Ursache des Geburtenrückgangs sei, sagte Djerassi einmal: „Das ist Unsinn. Paare beschränken sich aus gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Gründen auf weniger Kinder.”

Seine dritte Ehefrau, die Stanford-Professorin und Biografin Diane Middlebrook, inspirierte Djerassi zum Schreiben. Zunächst entstanden Gedichte und Kurzgeschichten. Doch bald schon fühlte sich der Forscher berufen, seine Leser in die Welt der Wissenschaft einzuführen. Er schuf ein neues Roman-Genre, nannte sie „Science-in-Fiction”, weil die wissenschaftlichen Inhalte im Gegensatz zur „Science-Fiction” nicht frei erfunden seien. Die Romane wurden Bestseller, seine Dramen werden auf Bühnen in aller Welt aufgeführt, darunter auch in etlichen großen europäischen Theatern.

Middlebrook erlag 2007 einer Krebserkrankung. Lange vor ihr verlor Djerassi seine Tochter Pamela. Ihr Selbstmord veranlasste Djerassi, seine Farm in Kalifornien zur Künstlerkolonie umzubauen. Junge Maler, Bildhauer, Schriftsteller und Fotografen sind eingeladen, ein Jahr kostenlos dort zu leben und zu arbeiten.

Mit seinem Heimatland söhnte sich der unter anderem mit 39 Ehrendoktortiteln gewürdigte US-Amerikaner in späten Jahren aus. Er akzeptierte einen österreichischen Pass und besaß damit eine doppelte Staatsbürgerschaft. Zuletzt lebte er abwechselnd in Wien, San Francisco und London. In dortigen Museen ist auch ein Teil der Werke von Paul Klee ausgestellt, die Djerassi mit Hilfe seiner Tantiemen zusammentrug.