Das Apotheken-A hat es mal wieder auf die Titelseite einer überregionalen Zeitung geschafft: „Leider ausverkauft!“ lautet die Schlagzeile auf Seite 1 der „Welt kompakt“. Die Tageszeitung berichtet, dass den Apotheken der Cannabis-Nachschub für Schmerzpatienten ausgeht. Und immer öfter stellten sich Krankenkassen bei der Erteilung von Genehmigungen für Schmerzpatienten quer.
„Der Rausch ist weg“ schreibt „Welt kompakt“ in der heutigen Ausgabe. Und bringt es auf den Punkt: Cannabis als Medizin bringt Probleme – Krankenkassen lehnen ab, Ärzte verordnen es aus Kostengründen nicht und Apotheker beklagen Engpässe. Das bestätigt auch die ABDA der Tageszeitung. Das medizinische Cannabis wird derzeit aus den Niederlanden und Kanada importiert. Ab 2019 soll medizinisches Cannabis staatlich überwacht in Deutschland angebaut werden.
Eine Patientin schildert in „Welt kompakt“ ihren Leidensweg: Die 36-jährige Verkäuferin Sylvia Ader aus der Uckermark bekam im Jahr 2012 die Diagnose Krebs, in der Mundhöhle und am Zungenboden wurde ein Karzinom festgestellt. Sie wurde sieben Mal operiert, konnte nichts mehr essen und nahm stark ab. „Ich habe alle Schmerzmittel durchprobiert“, erzählt sie – und sämtliche Nebenwirkungen erfahren. Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Ausschläge, Depressionen.
Als sie anfing, Cannabis zu rauchen, ging es ihr besser, ein Potsdamer Arzt verschrieb es ihr, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erteilte eine Ausnahmegenehmigung für 80 Gramm im Monat. „Seitdem habe ich viel mehr Appetit und weniger Schmerzen.“
Mit der Gesetzesänderung begann für sie ein Albtraum. Für sie wurde die Lage nicht etwa besser, sondern schlimmer, denn ihre Krankenkasse DAK weigerte sich, die Kosten zu übernehmen. Laut einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) hatte die Patientin innerhalb 14 Monaten mehr als sechs Kilogramm abgenommen – für die Experten ein Beleg dafür, dass Cannabis bei ihr nicht appetitanregend wirke. Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme deshalb ab. Sylvia Ader klagt nun vor dem Sozialgericht. Und raucht, wie sie im „Welt kompakt“-Interview sagt, trotzdem Cannabis: „Ich besorg‘s mir“, antwortet sie auf die Frage, woher sie es beziehe.
Laut Auskunft der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) ist sie kein Einzelfall, vor den Gerichten würden sich die Klagen von Schmerzpatienten derzeit häufen. Laut einer Online-Umfrage der Arbeitsgemeinschaft wurden bislang nur 93 Anträge positiv beschieden, 226 wurden abgelehnt, 45 befinden sich noch in Bearbeitung.
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist auf der Seite der Krankenkassen und verteidigt deren Vorgehen. „Cannabis wäre nach dem Arzneimittelrecht eigentlich nicht verschreibungsfähig. Möglich ist dies erst durch eine gesetzliche Ausnahmeregelung geworden“, sagt GKV-Sprecher Florian Lanz gegenüber „Welt kompakt“. Es gebe keine Zulassungsstudien, die die Wirksamkeit belegten. „Es gibt positive Erfahrungen, aber keine soliden wissenschaftlichen Grundlagen, wie sie sonst für alle anderen neu in Deutschland zugelassenen Medikamente Pflicht sind.“ Deshalb müssten die Krankenkassen jeden Fall sorgfältig prüfen. Bundesweit gibt es fünf bis sieben Millionen Schmerzpatienten.
Auch der Kostenfaktor sei wichtig: Eine Cannabis-Therapie mit der gesetzlich vorgegebenen Höchstmenge von 100 Gramm für 30 Tage koste 2507 Euro im Monat und rund 30.000 Euro im Jahr. Seit Inkrafttreten des Gesetzes wären die Preise für Cannabis als Medizin stark gestiegen.
Das Blatt zitiert den Deutschen Hanfverband, die Lobby der Cannabis-Verfechter: „Die Gesetzesänderung, die in der Theorie ein riesiger Schritt nach vorne ist, sorgt in der Praxis noch für einigen Ärger.“ Die Krankenkassen würden sich aus der Verantwortung ziehen und es gebe zu wenige Ärzte, die es verschreiben. Zudem bereiteten hohe Kosten für die Medikamente in den Apotheken und Lieferengpässe den Cannabispatienten Probleme.
Alles fing optimistisch an, aber ein halbes Jahr nach der einstimmigen Annahme des Gesetzes im Bundestag sei, so „Welt kompakt“, die Euphorie verflogen. Anfangs titelten viele Zeitungen „Kiffen auf Rezept“ – das war, nachdem der Bundestag am 19. Januar das Cannabis-Gesetz verabschiedet hatte. Den Abgeordneten ging es darum, die medizinische Versorgung schwerkranker Menschen zu verbessern. Ärzte sollten künftig bei schwerwiegenden Erkrankungen Patienten Cannabis verschreiben können, sofern es keine alternative Therapie gibt. Davor war dies nur mit Ausnahmegenehmigung möglich, im Januar 2016 gab es bundesweit 1020 Patienten.
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