Zweiter Weltkrieg

Schicksale deutscher Apotheker

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Berlin -

Flucht, Vertreibung, Verschleppung und Suizid: Der Zweite Weltkrieg bedeutete für viele Menschen in den umkämpften Gebieten einen apokalyptischen Zusammenbruch des ganz persönlichen Lebenstraumes. Unter den Menschen, die den Verlust der Heimat und damit verbunden der materiellen Existenzgrundlage verkraften und während der Flucht Todesängste durchleben mussten, waren auch einige Apotheker. Der Pharmazeut Paul Biela hat nun in einem Buch die Schicksale von 14 Kollegen aus Ostbrandenburg am Ende des Zweiten Weltkrieges beleuchtet.

Wie schwierig sich die Recherche gestaltete, merkt der Leser daran, dass einige Schicksale nur rudimentär rekonstruiert werden konnten. Dann findet man nur einige Eckpunkte eines ganzen Lebens: Das Geburts- und Todesdatum, den Namen der Apotheke und unter Umständen die berufliche Laufbahn nach 1945. „Es war sehr schwierig, hier Forschungen anzustellen“, berichtet Biela. Denn nicht nur sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges inzwischen mehr als sieben Jahrzehnte vergangen. Viele Dokumente seien den Kampfhandlungen, den Verwüstungen, Plünderungen und Bränden zum Opfer gefallen.

Trotz der schwierigen Recherche ist es Biela letztendlich gelungen, die Schicksale von 14 Apothekern mehr oder weniger ausführlich zu rekonstruieren. Fünf Apotheker gelangten durch Flucht oder Vertreibung in die sowjetische Besatzungszone, die spätere Deutsche Demokratische Republik. Vier Pharmazeuten fanden in den westlichen Besatzungszonen, und damit in der Bundesrepublik Deutschland, eine neue Heimat. Drei Apotheker wurden gen Osten in die damalige Sowjetunion verschleppt und kamen nicht mehr zurück. Ein Pharmazeutenpaar sah angesichts der über sie hereinbrechenden Katastrophe keinen Ausweg und beging Suizid.

Den besten Einblick in die Geschehnisse im Jahr 1945 präsentiert Biela im Fall des Apothekers Ernst Peltner aus Küstrin. Dem Autor ist es im Zuge der Recherche gelungen, den Sohn des Apothekers ausfindig zu machen. Dieser verfügt über ein umfangreiches Familienarchiv und konnte dem Pharmaziehistoriker viele Details über das Leben seines Vaters berichten. Diesem Archiv ist auch zu verdanken, dass nicht nur die nackten Fakten und Daten aus dem Leben des Apothekers bekannt sind, sondern auch persönliche Empfindungen.

1945 war Küstrin von der Roten Armee eingeschlossen und durch die heftigen Kämpfe stark zerstört worden. Ernst Peltner hat es irgendwie geschafft, dass seine Frau Anfang 1945 ausreisen durfte. Die Bedingung: Der Apotheker musste sich selbst als „Pfand“ einbringen, damit er seiner Familie eine Chance geben konnte. Aus den Berichten seines Sohnes Klaus erfuhr Biela, dass Peltner im Keller der Apotheke ausharren musste, bis er im März 1945 die Genehmigung bekam, Küstrin verlassen zu dürfen.

Doch wer denkt, dass für den Apotheker damit das Schlimmste vorbei war, irrt gewaltig. In einer Feldpostkarte vom 30. März 1945 schilderte er seine dramatische Flucht. „Gestern Nacht haben wir den letzten Ausbruch aus der Festung gewagt (…) und habe Glück gehabt, mir ist nichts passiert“, schreibt Peltner. „Verloren haben wir alles, das Haus ist vollkommen abgebrannt, ebenso die Keller, in der Altstadt steht kein Haus mehr(…)“.

„Die letzten Zivilisten verließen die Stadt über die Oder und wurden dabei nach den Worten meines Vaters vom linken Ufer, von deutschen Kräften beschossen, die wohl meinten, es kämen die ersten russischen Angreifer“, wird Peltner im Buch zitiert. Die mitgeführten „weißen Fahnen“ als Zeichen der Unterwerfung konnte nicht alle Verzweifelten vor diesem unnötigen Tod bei der Oder-Überquerung bewahren. „Mein Vater war sich eines Glücks als Überlebender in dem Inferno bewusst“. Schließlich hat es der Apotheker im April 1945 geschafft, an dem Zufluchtsort seiner Familie in Zschopau im Erzgebirge anzukommen. In Augustusburg baute sich Peltner eine neue Existenz auf.

Die Schicksale der Apotheker, die verschleppt und nie wieder zu ihren Familien zurückgekehrt sind, machen Biela, der 1940 geboren wurde, persönlich betroffen. „Ich kann die Gefühle der Familien aus eigener Erfahrung sehr gut nachvollziehen“, berichtet er. Denn dieses Schicksal hat auch seine eigene Familie durchmachen müssen, als sein Vater verschleppt wurde.

So wurde der Apotheker Erich Blase, der eine Apotheke in Gassen besaß, im März 1945 in die Sowjetunion gebracht, wo er in einem Lazarettlager in Ufa im Juli 1946 verstarb. Das gleiche Schicksal ereilte auch Gerhard Messerschmidt, der die Adler-Apotheke in Neudamm betrieb. Auch er wurde in die Sowjetunion verschleppt, wo er rund ein Jahr später an Tuberkulose starb.

Ein weiteres tragisches Schicksal hatte Apotheker Werner Keller. Beim Einmarsch der Roten Armee in Bernstein verabreichte seine Frau sich und den drei Kindern Gift. Während die Kinder glücklicherweise überlebten, starb Elisabeth Keller. Von einer Arztwitwe wurden die Kinder bei der Vertreibung mitgenommen und kamen erst im Sommer 1946 zu ihrem Vater. Auch Apotheker Emil Erb, Inhaber der Adler-Apotheke in Drossen, wollte nicht fliehen. Stattdessen haben sich der Pharmazeut und seine Frau mit Gift aus der Apotheke das Leben genommen. Ihre Apotheke wurde beim Einmarsch der Roten Armee geplündert.

Paul Biela ist selbst Apotheker und hat von 1969 bis 2000 die Paulus-Apotheke in Rehbrücken in der Nähe von Potsdam betrieben. Frisch im Ruhestand war ihm die Idee gekommen, die Pharmaziegeschichte anzupacken. In den vergangenen Jahren hat Biela ein Werk aus insgesamt vier Bänden „Zur Historie der Apotheken des Landes Brandenburg von den Anfängen bis zur Gegenwart“ vorgelegt. 567 Apotheken Brandenburgs und 700 Jahre Pharmaziegeschichte werden vorgestellt.

Im Jahr 2010 brachte er das Buch „Apotheken, die keiner mehr kennt: zur Historie der Apotheken in der Neumark und der örtlichen Niederlausitz von den Anfängen bis 1945“ heraus. Bei der Recherche für das Buch sei er auf die bewegenden Schicksale der Apotheker gestoßen und habe beschlossen, sie in einem eigenen Buch zusammenzutragen.

Das entstandene Buch „Schicksale deutscher Apotheker aus Ostbrandenburg am Ende des Zweiten Weltkrieges“ hat Biela seiner Ehefrau Margarita gewidmet, die als Flüchtlingskind aus Harrachsdorf im Riesengebirge – das heute zu Tschechien gehört – nach Deutschland kam.

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