Dass die Kassen die Kosten für Nikotinersatztherapien übernehmen, ist eine alte Forderung der Hersteller. Heute verhandelte das Bundessozialgericht (BSG) über die Klage einer Patientin, die Nicotinell auf Rezept verordnet bekommen wollte. Die Richter wiesen den Anspruch zurück.
Die Patientin ist bei der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) versichert und beantragte wegen einer chronisch obstruktiven Lungenwegserkrankung (COPD) die Versorgung mit einer „Raucherentwöhnungstherapie nach § 27 und § 43 SGB V“ sowie mit Medikamenten zur Behandlung ihrer Nikotinsucht. Die Kasse bewilligte bis zu 255 Euro für die beantragte Patientenschulung, lehnte eine weitergehende Versorgung aber ab.
Die Klage blieb bislang ohne Erfolg; sowohl das Sozialgericht Schleswig als auch das Landessozialgericht Schleswig-Holstein (LSG) wies den Antrag ab. Es gebe nach der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) keinen Anspruch auf Verhaltenstherapie zur Raucherentwöhnung. Mittlerweile geht es um entstandene Kosten in Höhe von 1251,57 Euro sowie die Frage nach Erstattung künftiger Leistungen.
Doch auch das BSG sah keinen Anspruch: Arzneimittel zur Raucherentwöhnung seien verfassungskonform kraft Gesetzes aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen, heißt es im Urteil. Das Behandlungsziel könne nach Einschätzung des Gesetzgebers auch durch nicht medikamentöse Maßnahmen erreicht werden. Unzulässig sei die weitere Klage auf eine von der beantragten abweichende ärztliche Therapie zur Raucherentwöhnung mangels Verwaltungsverfahrens, ebenso die Klage auf eine höhere ärztliche Vergütung. Hierauf habe die Klägerin keine eigenen Rechte. Die Klage auf Zahlung der Kosten für die bewilligte Therapie sei unbegründet.
Der G-BA hatte 2009 empfohlen, Präparate zur Tabakentwöhnung für Patienten mit COPD, die an einem Disease Management Programm (DMP) teilnehmen, in den Leistungskatalog der Kassen aufzunehmen. Zwei Jahre später empfahl der G-BA das gleiche für Raucher, die an Asthma leiden. Im Fokus der Beratung von COPD- und Asthma-Patienten sollte die Raucherentwöhnung stehen, da Fortschreiten und Sterblichkeit dadurch signifikant abnehmen, so der G-BA.
Neben nicht-medikamentösen und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen sollten gegebenenfalls unterstützend Medikamente zum Einsatz kommenkönnen, hieß es. Betroffen wären nicht nur Nikotinersatzmittel wie Pflaster oder Kaugummis, sondern auch verschreibungspflichtige, aber bislang nicht erstattungsfähige Arzneimittel wie Champix (Vareniclin). Die Kassen sollten die medikamentöse Therapie nur für einen Therapiezyklus tragen: Wenn die Patienten danach wieder mit dem Rauchen anfangen, müssten sie die Kosten für einen neuen Versuch selbst übernehmen.
Doch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) beanstandete den Beschluss. Eine Klage des G-BA wies das LSG Berlin-Brandenburg 2015 ab. Das SGB V schließe die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln „zur Rauchentwöhnung“ strikt aus, erklärten die Richter. Daher kämen Ausnahmen nach geltendem Recht nicht in Betracht.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) macht sich seit längerem dafür stark, dass Nikotinersatzpräparate zumindest bei Rauchern mit bestimmten Vorerkrankungen erstattungsfähig werden. 2011 hat der Pharmaverband den Gesundheitsökonomen Professor Dr. Jürgen Wasem rechnen lassen. Laut BAH lebt jeder Raucher, der erfolgreich aufhört, drei Jahre länger. Die Krankenkassen sparen dabei 15.000 Euro, die sonst für Raucherkrankheiten ausgegeben werden müssten – bei Kosten von rund 200 Euro für die Nikotinersatztherapie.
Wasem stellte anhand von Daten aus verschiedenen Studien fest, dass Kaugummis und Pflaster trotz der Behandlungskosten für die Kassen im Endeffekt günstiger sind als der kalte Ausstieg: Denn mithilfe von Nikotinersatz könnten 17 Prozent der Raucher dauerhaft aufhören, eine Entwöhnung mit Placebo sei hingegen nur in 10 Prozent erfolgreich, so Wasem.
Auch die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), hatte sich 2012 dafür ausgesprochen, dass Raucher Arzneimittel für die Tabakentwöhnung erstattet bekommen. Die Kassen wiesen das prompt zurück: Medikamente können geradezu verhindern oder hinauszögern, dass sich ein Raucher klar mache, warum er rauche oder wann und in welcher Situation er zur Zigarette greife, so der GKV-Spitzenverband.
Vor einem Jahr forderten Wissenschaftler beim Europäischen Tabakkongress die Abschaffung des sogenannten „Lifestyle-Paragraphen“, der die Erstattung bislang verhindert. „Tabakabhängigkeit ist eine Suchterkrankung, ihre Behandlung ist die wirksamste und kosteneffektivste Möglichkeit, die Sucht zu behandeln und Folgeerkrankungen abzuwenden“, sagte der Psychiater und Sucht-Experte Tobias Rüther.
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