Seit einer Woche ist die kleine Insel in der Nordsee in den Nachrichten: Ganz Deutschland diskutiert das Klaasohm-Fest auf Borkum. Diese alte Tradition, die jährlich am 5. Dezember gefeiert wird, geht auf die frühere Verbundenheit der Insel mit dem Walfang zurück: Frauen wurden von maskierten Männern mit Kuhhörnern auf das Gesäß geschlagen, wenn sie an diesem Abend nicht zu Hause blieben. Klassischerweise sind außerhalb der Saison ohnehin wenige Touristen auf der Insel, und das Fest wird auch nur von den Einheimischen zelebriert. Von Gewalt sei längst keine Spur mehr, versucht auch Apothekerin Mirjam Zurborg-Brendel, die öffentliche Debatte zu entkräften.
Zurborg-Brendel betreibt die Insel-Apotheke, eine von drei Apotheken auf der Insel mit etwa 5200 Einwohner:innen und 240.000 Übernachtungsgästen jährlich. Zum Klaasohm sind die Borkumer:innen mehr oder weniger unter sich. In diesem Jahr ist das aufgrund der Berichterstattung anders. Einige Gäste haben deshalb ihre Übernachtungen storniert, viele andere kommen aber trotzdem. Tausende Besucher:innen werden heute erwartet.
„Ich bin durch und durch Borkumerin und stehe hinter unseren Traditionen“, sagt die Inhaberin in zweiter Generation. „Es hat sich in der letzten Zeit viel geändert. Früher war das wirklich grenzwertig. In den letzten 10, 15 Jahren hat sich aber einiges getan“, berichtet sie. „Ich habe das von Kind auf mitgemacht.“ Heute fehle aber das Kribbeln im Bauch, die besonderen Gefühle, die das Fest früher hervorgerufen habe. „Man ist trotzdem rausgegangen, immer im Bewusstsein, den Klassohm zu treffen.“
Der Brauch mutet, wie auch viele andere Traditionen, von außen betrachtet seltsam an: Junge, unverheiratete Männer verkleiden sich mit Masken, Fellen und Federn als sogenannte Klaasohms, alle haben Kuhhörner bei sich. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommt es in einer Halle zu einem symbolischen Kampf unter den Männern. Danach laufen die Klaasohms im Rahmen des Festes auf festgelegten Routen durch die Stadt.
Früher gehörte auch das Schlagen dazu: Frauen, die sich aus dem Haus wagten, wurden von den Klaasohms mit einem Kuhhorn verhauen. Als Höhepunkt springen die Klaasohms nacheinander von einer meterhohen Säule in die Menschenmenge. Gefeiert wird die ganze Nacht in den Nikolaustag hinein. Als Veranstalter tritt der Verein „Borkumer Jungens von 1830“ auf.
Zurborg-Brendel steht hinter dem traditionellen Fest, zumal das Schlagen längst nicht mehr so praktiziert werde wie früher. „Man weiß, worauf man sich einlässt“, sagt sie. Dass das Wort Gewalt beim aktuellen Brauchtum überhaupt ins Spiel kam, erschließt sich ihr nicht. „Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel, das hochgeputscht worden ist.“
Die aktuelle Berichterstattung findet sie „schlimm“. „Die Leute meinen, uns belehren und bekehren zu müssen.“ Dabei sei die Tradition doch längst im Wandel. Auch die Litfaßsäule als zentraler Schauplatz des Festes wurde besprüht.
Auf der Insel herrscht normalerweise Volksfeststimmung, zwei der drei Apotheken machen um 13 Uhr zu, eine übernimmt den Notdienst. Das ist auch heute so, aber das Fest wird anders: „Es sind wirklich viele Menschen da, auch viele Touristen. Das wird das Fest beeinträchtigen.“ Auf der Insel gebe es aufgrund der Schaulustigen dieses Mal Vorsichtsmaßnahmen durch die Polizei und Absperrungen, berichtet sie. „Ich weiß nicht, wie es wird. Ich hoffe, dass es friedlich abläuft.“
Mit Gewaltverbot und Schutzkonzept will der Veranstaltende nun einen Neuanfang für den umstrittenen Nikolausbrauch finden. Die gewalttätigen Übergriffe auf Frauen bei vorherigen Klaasohm-Festen, von denen vergangene Woche das NDR-Reportageformat STR_F berichtete, soll es nicht mehr geben. Der Verein kündigte an, den „Brauch des Schlagens“ abzuschaffen.
Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann (parteilos) setzt darauf, dass diese Zusage gilt. Dazu habe der Verein, wie in den Vorjahren schon, seinen Mitgliedern eine klare Ansage gemacht. „Das ist verboten und das ist dieses Mal noch eindringlicher gemacht worden“, sagt der Bürgermeister der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen das nicht mehr, auch wenn es früher so war. Wir distanzieren uns da ganz klar von.“
Zusätzlich will die Stadt eine Telefonnummer und Räume einrichten, wo sich Frauen melden können, sollte es zu gefährlichen oder unangenehmen Situationen kommen.