Apotheke heute bedeutet mehr als nur den gesetzlichen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Um sich von der Konkurrenz abheben zu können, bieten Inhaber einerseits Rabatte bei OTC-Arzneimitteln an oder sie profilieren sich mit Spezialisierungen wie beispielsweise Ernährungsberatung oder Naturheilverfahren. Für letzteres entschied sich Isabelle L‘Allemand, Inhaberin der Dünsberg-Apotheke im hessischen Biebertal. Sie hat ihren Fokus auf die Beratung und Abgabe von medizinischen Blutegeln (Hirudo medicinalis) gelegt.
„Die Egel sitzen in einem schönem Teich“, sagt Apothekerin Isabelle L'Allemand. Schon fast beneidenswert seien die Lebensbedingungen der Tierchen, „sie bekommen ihr Wasser sogar aus einem eigenen Brunnen, der stetig kontrolliert wird.“ Ihr Apothekenalltag dreht sich wie bei anderen Kollegen in der öffentlichen Apotheke zwar auch um Tabletten, Rabattverträge und Genehmigungen. Sie hat aber die Arbeit mit lebenden Arzneimitteln für sich entdeckt.
In der Dünsberg- Apotheke, die sie 2005 übernommen hat, bietet sie seit 2012 GMP-zertifizierte Blutegel zu medizinischen Zwecken an. Um die lebenden Arzneimittel in großem Rahmen anbieten zu können, hat sie sich für eine Kooperation mit der Biebertaler Blutegelzucht entschieden. „Das war eher Zufall“, sagt die 51-Jährige. „Ich bin von Wiesbaden nach Biebertal gezogen. Nach dem Umzug bin ich dann auf die Blutegel-Farm gestoßen.“ Der damalige Leiter hatte sie tiefgründig informiert. „Aus unserem Gespräch entstand dann die Idee einer gemeinsamen Zusammenarbeit.“
„Blutegel werden in der Zucht streng kontrolliert“, erklärt die Pharmazeutin. „Denn die Tiere unterliegen der Zulassung der Behörden.“ In regelmäßigen Abständen müssten daher Prüfungen zur Qualitätssicherung durchgeführt werden. Die Einstufung der Gefahren, die sich durch eventuell vorhandene Keime auf oder in den Blutegeln ergeben, werden nach den Technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe eingestuft und beurteilt. „Bestimmt werden Parameter, beispielsweise zu Wasserqualität und zur Oberfläche der Blutegel. „Die Analysen werden zum Teil in der Blutegelzucht selbst oder auch im Institut fur Krankenhaushygiene und Infektionskontrolle in Gießen durchgeführt“, so L'Allemand.
Kunden, die Blutegel kaufen möchten, können diese auf der zur Dünsberg-Apotheke gehörenden Website „blutegelapotheke.de“ online bestellen. Die Farm sei fußläufig schnell von der Apotheke zu erreichen. Kunden können dies auch in der Apotheke direkt abwickeln. „Die Farm ist fußläufig in fünf Minuten zu erreichen. Bestellungen kann ich so in meiner Mittagspause kontrollieren.“ Es gibt einen Unterschied in der Bestellabwicklung zwischen Fachkreisen und „Endverbraucher“: Apotheker, Ärzte und Heilpraktiker, die online bei der Blutegelapotheke bestellen, werden automatisch an die Biebertaler Blutegelzucht weitergeleitet, erzählt L'Allemand. Um die Tiere geliefert zu bekommen, müssen die Heilberufler dort einen Nachweis vorlegen, der eine Zugehörigkeit zu Fachkreisen belege. „Die restlichen Kunden, das sind Tierheilpraktiker und Privatpersonen, bekommen die Egel über die Apotheke.“ Im Winter gebe es dabei insgesamt mehr Bestellungen als im Sommer. In der kalten Jahreszeit würden täglich etwa 200 Egel die Apotheke verlassen.
Bei medizinischen Blutegeln handelt es sich um Arzneimittel, für einen Versand benötigt der Apotheker eine Versandhandelserlaubnis nach § 11a Apothekengesetz (ApoG). „Die habe ich seit 2012“, sagt L‘Allemand, die sich auf den Versand von Blutegeln spezialisiert hat. Deshalb heiße ihre Versandapotheke auch Blutegelapotheke. Doch sie interessiert sich nicht für den generellen Versand von Arzneimitteln, sondern nur für die Blutegel. Wenn ein Kunde sonstige Medikamente bestelle, müsse sie diesen nach dem Gesetz trotzdem beliefern. „Man darf nicht selektieren“, erklärt die Apothekerin. So seien die Regelungen.
Wie der Versand von „leblosen“ Arzneimitteln wie Tabletten, Saft und Creme aussieht, ist bekannt. Wie werden die Blutegel versandfertig gemacht? „DieTiere werden in einem Leinensäckchen aufbewahrt, das zuvor bei 90 Grad gewaschen wurde. Zusätzlich werden Schaumstoffflocken in destilliertem Wasser eingeweicht. Zusammen mit dem Säckchen kommen diese in ein Styroporkästchen“, erklärt L'Allemand. Da Blutegel Arzneimittel sind, komme auch eine Packungsbeilage mit dazu. „Das Kästchen wird dann geschlossen und noch mal in einen Umkarton gepackt.“ So sei das Paket relativ schüttelsicher. Auf dem Weg zum Kunden gilt: Der Postbote müsse in jedem Fall das Paket persönlich übergeben. Der Kunde kann laut L'Allemand zwar eine Abstellerlaubnis erteilen, diese müsse dann zuvor schriftlich erfolgen. „Dann kann das Paket dementsprechend abgelegt werden.“
Vor Abgabe eines Blutegels zu medizinischen Zwecken müssten einige Dinge beachtet werden. Denn es seien Wechselwirkungen mit Thrombozytenaggregationshemmern wie Acetylsalicylsäure und Clopidogrel, Antiepileptika, Antibiotika sowie Analgetika wie Diclofenac, Naproxen und Ibuprofen bekannt. „Ginkgo-Präparate können auch Interaktionen hervorrufen“, ergänzt sie. Generell könnten Kinder ab 30 kg mit Blutegeln behandelt werden, allerdings sollte dies bestenfalls vorher ärztlich abgeklärt werden.
„24-48 Stunden nach Anwendung des Blutegels sollte der Patient ruhen und kein Sport treiben“, so lautet der Beratungshinweis von L‘Allemand. Wie jedes Arzneimittel haben auch Blutegel Nebenwirkungen. Es können Rötungen und allergische Reaktionen auftreten. Außerdem sind Wundheilungsstörungen bei Patienten mit Diabetes, und solchen, die mit Cortison therapiert werden, möglich. „Bei schwerwiegenden Nebenwirkungen und zur Abklärung, ob eine Blutegeltherapie sinnvoll ist, schicken wir den Patienten zum Arzt beziehungsweise zum Heilpraktiker“, sagt die Apothekerin. Bei leichten allergischen Beschwerden empfehle sie Antihistaminika wie zum Beispiel Cetirizin. Sie dokumentiert unerwünschte Wirkungen, die im Rahmen der Abgabe von Blutegeln aufgetreten sind: „Ich bin im Pharmakovigilanz-Komitee der Blutegelzucht. Wir sammeln solche Fälle und dokumentieren diese.“
Doch mit der Beratung und anschließenden Abgabe der Blutegel höre es nicht auf: „Ich bekomme oft Anrufe von Kollegen“, sagt die Pharmazeutin. Viele wüssten nicht, wie man die Abgabe dokumentiert. Sie klärt auf: „Das Gesetz schreibt zwar eine Dokumentation nach Transfusionsgesetz nicht direkt vor. Es wird aber empfohlen nach Transfusionsgesetz zu dokumentieren.“ Anhand der Rechnung und der darin vorkommenden Teich-Nummer sei es möglich, den gesamten Prozess zurückzuverfolgen.
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