Luxusgut Arzneimittel: Die Monatsmitte ist noch nicht erreicht, aber das Konto beinahe leer. Wenn die Rente trotz lebenslanger Arbeit nur schmal ist, versuchen sich einige Menschen mit Minijobs über Wasser zu halten. Ist die Rente klein, kann der Weg in die Apotheke zum Luxus werden. Ein Erfahrungsbericht aus der Apotheke.
Ein „normaler Tag“ in der Großstadt. Vor einer Apotheke in der Fußgängerzone spricht ein älterer Herr die Passanten an. Er fragt nach Geld, nicht etwa um Lebensmittel zu kaufen. In den Händen hält er ein Rezept. Ohne Hilfe könne er das Arzneimittel nicht bezahlen. Die schmale Rente reiche vorne und hinten nicht. Stunden vergehen, bis er das Geld zusammen hat.
Der Apotheke ist der Mann bekannt. Verordnet ist stets ein Benzodiazepin, im Abstand von etwa zwei Wochen ist der Rentner in Not. Die Apotheke hat alles versucht, um zu helfen. Dann aber schließlich die Abgabe verweigert und den Missbrauch beim Arzt angezeigt. Seither sucht der Rentner verschiedene Ärzte und Apotheken auf.
An einem Wochenende bettelt der Mann wieder vor der Apotheke. Dieses Mal hat der Glück, nach nur einer halben Stunde hilft ein Tourist. Zusammen mit dem Mann betritt er die Apotheke und will das Medikament bezahlen. Er ist entrüstet, dass das in einem Land wie Deutschland möglich sei, nicht ausreichend Geld für dringend benötigte Medikamente zu haben. Der Apotheker erklärt den Missbrauch und die Situation des Rentners. Da kommt der Tourist ins Stottern und läuft weg. Mit Arzneimittelmissbrauch wolle er nichts zu tun haben, er wollte nur helfen.
Zurück bleiben Rentner und Apotheker. Der Mann schimpft, jetzt müsse er wieder vor die Tür. Es werde Stunden dauern, bis er das Geld zusammen habe. Der Apotheker sei an allem Schuld, wie könne er sich einfach einmischen und behaupten, hier gehe es um Abhängigkeit. Und überhaupt: Es sei doch egal wer bezahle, Hauptsache er bekomme sein Geld. Die Apotheke werde er nie wieder betreten.
Es kommt nicht so, der Mann taucht auch weiterhin regelmäßig in der Apotheke auf. Eine Zeitlang verlegt er die Rezepteinlösung in die Abendstunden, manchmal schaut er vorher durch das Schaufenster, wer gerade in der Apotheke Dienst hat. Einmal erklärt er einer Mitarbeiterin auch, warum er weiterhin regelmäßig kommt: Es sei nirgends so einfach wie hier, Geld für Medikamente zu sammeln. Viele Passanten, vor allem aber viele Touristen, die sich mit den Feinheiten des deutschen Gesundheitssystems nicht auskennen.
Zu seiner Krankengeschichte macht er nie Angaben, offensichtlich weil es ihm peinlich ist. Und irgendwann kommt er gar nicht mehr. Monate später ist er plötzlich Gesprächsthema zwischen den Kollegen. Was aus dem Mann wohl geworden ist? Wie andere Kollegen mit solchen Fällen umgehen? Was in einem solchen Fall korrekt ist? Medikament abgeben und wegsehen? Wie definiert man Hilfe über die pharmazeutische Beratung hinaus? Antworten hat keiner im Team. Alle sind betroffen, über das Schicksal des Mannes und die eigene Hilflosigkeit. Dann kommt der nächste Kunde, das Tagesgeschäft muss weitergehen.
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