Zeit und Qualität sind bei der Behandlung eines Schlaganfalls entscheidend, damit die betroffenen Hirnregionen wieder ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Doch hierzulande werden längst nicht alle Patienten in eine Klinik mit sogenannter Stroke Unit gefahren, die auf Schlaganfall spezialisiert ist. Viele werden in die nächstgelegene Klinik gebracht und damit nicht unbedingt in ein Krankenhaus mit entsprechender Akutstation. Ein neuer Datenreport zeigt nun: Würde die Versorgung von Schlaganfall-Patienten ausschließlich auf Stroke Units konzentriert, blieben die Fahrzeiten für gut 94 Prozent der Bevölkerung immer noch im empfohlenen Rahmen.
Die Ergebnisse sind hochaktuell: Am Freitag soll der Bundesrat über eine Klinikreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entscheiden, die auch eine stärkere Konzentration der Schlaganfallversorgung auf Stroke Units vorsieht.
Wenn es um die Behandlung eines Schlaganfalls geht, zählt jede Minute, um die Durchblutung des Gehirns wiederherzustellen und langfristige Schäden zu minimieren. Entsprechend darf laut des „Eckpunktepapiers 2016 zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung“ nach Eingang des Notrufs maximal eine Stunde vergehen, bis Menschen mit einem potenziellen Schlaganfall das Krankenhaus erreicht haben sollten, wobei die reine Fahrt zur Klinik nicht mehr als 30 Minuten dauern sollte.
Dort ist das Sterberisiko nachweislich geringer, wenn das Krankenhaus über eine sogenannte Stroke Unit (SU) verfügt – in Deutschland gibt es 349 von der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft zertifizierte SUs und weitere ohne Zertifikat. Als Stroke Unit werden spezialisierte Akutstationen bezeichnet, die besonders ausgestattet sind und rund um die Uhr spezielle Behandlungsmöglichkeiten anbieten. Deswegen empfiehlt die aktuelle medizinische Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, dass alle Menschen mit Schlaganfall auf einer Stroke Unit behandelt werden sollen.
Das ist hierzulande aber nicht immer der Fall: Laut Science Media Center (SMC) ergab eine Umfrage unter Rettungsdiensten im deutschsprachigen Raum 2020, dass bis zu einem Drittel der Patientinnen und Patienten mit leichter Symptomatik und bis zu 20 Prozent der schwer Betroffenen in die nächstgelegene Klinik und damit nicht zwingend in eine zertifizierte Stroke Unit transportiert wurden. Nach Berechnungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sei 2021 jeder vierte Schlaganfall-Patient nicht in einer Klinik mit Stroke Unit behandelt worden.
Das SMC hat nun auf Basis der Qualitätsberichte der Krankenhäuser von 2022 in einem Datenreport ermittelt, an welchen Klinikstandorten Schlaganfälle behandelt wurden und wie lange die Menschen bis zur nächsten Klinik mit oder ohne Stroke Unit fahren müssen und die Ergebnisse in einer interaktiven Karte visualisiert. Darüber hinaus wurde berechnet, wie sich die Fahrzeiten verändern würden, wenn alle Menschen mit Schlaganfall ausschließlich zu Klinikstandorten mit Stroke Units gefahren werden würden – also so, wie es von der Leitlinie empfohlen und von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit der Klinikreform angestrebt wird. Auch diese Ergebnisse lassen sich in einer interaktiven Karte abrufen.
Dabei bezog das SMC nicht nur zertifizierte Stroke Units ein, sondern auch 127 weitere Klinikstandorte, die etwa nach eigenen Angaben über eine Stroke Unit verfügen und offiziell eine bestimmte Zahl entsprechender Schlaganfall-Diagnosen und Behandlungsprozeduren angegeben haben. Auf diese Weise berücksichtigt der Report insgesamt 476 Stroke Units.
Dabei kam das SMC zum Ergebnis, dass die Fahrtzeiten für gut 94 Prozent der Bevölkerung immer noch im Rahmen von 30 Minuten bleiben würden, würde die Versorgung ausschließlich auf Stroke Units konzentriert. In diesem Szenario würde die durchschnittliche Fahrtzeit bei etwa 14 Minuten liegen. Mit anderen Worten: Der überwiegende Teil der Betroffenen könnte in Kliniken mit Stroke Unit behandelt werden, ohne dass sich die Fahrtzeit relevant verlängert.
Knapp fünf Millionen Menschen (6 Prozent) würden in diesem Fall indes länger als 30 Minuten Fahrtzeit brauchen. Als Beispiel nennt der Report die Region Altmark im nördlichen Sachsen-Anhalt: Hier würde es für die 23.000 Einwohnerinnen und Einwohner knapp 43 Minuten länger dauern, um zur nächsten Stroke Unit zu fahren, als ins Krankenhaus Salzwedel, wo es keine Stroke Unit gibt.
„Solche Fahrzeitdifferenzen sind möglicherweise der Grund, dass in der Realität bisher nicht alle Schlaganfälle in Kliniken mit einer Stroke Unit transportiert werden“, heißt es im Report. Die Verteilung von Klinikstandorten ohne Stroke Unit in Gebieten, wo es keine große Fahrzeitverlängerung gebe, deute aber darauf hin, dass es auch andere Gründe dafür geben könnte: „Es könnte sein, dass die Stroke Units in diesen eigentlich gut angebundenen Gebieten nicht ausreichend Kapazitäten haben.“
Für die sechs Prozent, bei denen sich die Fahrtzeit auf über 30 Minuten verlängern würde, müssten spezielle Versorgungskonzepte wie etwa die Luftrettung und telemedizinische Netzwerke greifen. Innerhalb solcher Netzwerke beraten Ärztinnen und Ärzte aus Stroke Units Kliniken ohne SU.
Der Datenreport zeigt auch, in welchen Stroke Units die Möglichkeit zur Thrombektomie besteht. Das beschreibt eine wichtige Behandlungsmethode bei einem ischämischen Schlaganfall, bei dem das den Schlaganfall auslösende Blutgerinnsel mechanisch und minimalinvasiv entfernt wird. Diese Methode verbesserte das Funktionsniveau der Patientinnen und Patienten im Alltag nach dem Schlaganfall und könne den Behinderungsgrad reduzieren.
Hier berechnete der Report, dass die durchschnittliche Fahrzeit zu einer Stroke Unit, die auch Thrombektomien durchführen kann, 18 Minuten betrage. Auch diese Ergebnisse wurden in einer interaktiven Karte visualisiert.
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