Münsingen ist ein wunderschönes 14-000-Einwohner-Örtchen auf der Schwäbischen Alb. Doch die beschauliche Fassade kann trügen: Drogensucht und Beschaffungskriminalität sind auch dort keine Fremdworte. Ursula Holder ist die einzige Pharmazeutin in der Gegend, die sich um die Substitutionstherapie bei Drogenabhängigen kümmert. Und dadurch wird ihre Apotheke oft zur Zielscheibe. Vergangenen Freitag erst wurde sie überfallen – es dauerte jedoch nur wenige Tage, bis der Täter dingfest gemacht wurde. Anscheinend hat er unter hohem Suchtdruck gehandelt und war entsprechend unvorsichtig.
Die Covid-19-Infektionsschutzmaßnahmen haben einen unangenehmen Nebeneffekt für viel Apothekenmitarbeiter: Sie erleichtern es Kriminellen, vermummt aufzutreten, ohne dass jemand Verdacht schöpft. Das mussten auch die Mitarbeiterinnen der Stadt-Apotheke Münsingen erfahren. Freitagmittag betrat der Räuber die Apotheke. „Ein junger Mann mit Baseballmütze und Palästinensertuch vor dem Gesicht fällt ja erst einmal gar nicht auf“, sagt Holder. Doch er kam schnell zum Punkt. „Er sagte direkt, das sei ein Überfall. Da haben meine beiden Mitarbeiterinnen und ich uns erstmal angeschaut und ein bisschen gegrinst, weil wir ihn nicht ganz ernst genommen haben.“
Doch das Grinsen verging ihnen schnell. „Er hatte eine Papiertüte dabei. Ich hatte mich erst gewundert, warum er eine eigene Tüte mitbringt, in der Apotheke kriegt man doch jedes Mal eine.“ Als er ein Messer mit 20 cm langer Klinge aus der Tüte holte, wurde ihr der Grund klar. Er wolle „Fentanyl und Benzos“, sagte er den Apothekenmitarbeiterinnen mit vorgehaltenem Messer.
„Mir war sofort klar, dass das einer aus der Suchtszene ist. Er hat einen sehr ausgemergelten Eindruck gemacht“, erinnert sich Holder. „Ich habe ihm gesagt, dass wir kein Fentanyl haben, wollte aber auch keine Gewalt provozieren.“ Deshalb habe sie ihm mehrere einschlägige Präparate ausgehändigt: 30 bis 40 Subutex-Tabletten, rund 100 Morphiumtabletten sowie Tavor mit 0,5 und 1 mg Lorazepam. „Er hat nicht nach Geld gefragt, nicht in die Kassen geschaut, gar nichts. Es war deshalb sofort klar, dass das ein reines Rauschgiftdelikt ist.“ Gleichzeitig hatte Holders Mann mitbekommen, dass sich in der Apotheke unter seinem Büro anscheinend etwas abspielt, und kam herunter. „Das hat ihn offensichtlich nervös gemacht. Mein Mann ist 1,95 Meter und der Räuber war vielleicht 1,70 Meter. Er hat dann fluchtartig die Apotheke verlassen.“
Für Holder war es nur der Tiefpunkt einer Reihe von unerfreulichen Ereignissen: Denn sie ist die einzige Substitutionsapotheke in der Gegend und seit die letzte Substitutionpraxis im Ort geschlossen hat, wurde sie immer wieder zur Zielscheibe von Abhängigen. Innerhalb von zwei Jahren wurde viermal eingebrochen, zuletzt erst vor sechs Wochen. Jedes Mal hätten die Einbrecher mit mehr oder weniger Erfolg versucht, einschlägige Medikamente zu stehlen. Dass Substitutionsapotheken größerer Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von Beschaffungskriminalität zu werden, ist naheliegend. Die Frage ist: Wie kann man sich davor schützen? „Man kann die Tür verstärken und Sicherheitskameras einbauen, aber vielmehr bleibt auch nicht“, sagt Holder. Ihre Tochter und ihr Mann haben ihr bereits geraten, die Substitution doch einzustellen. „Aber das ist für mich keine Option.“ Und das nicht zuletzt auch deshalb, weil es absehbar nichts bringen würde: Drogenabhängigkeit ist auch ohne Substitution ein Problem – fiele sie auch noch weg, könnte noch weniger Suchtkranken geholfen werden, wieder auf den gesundheitlich und juristisch rechten Weg zu kommen.
Wichtiger als Schutzmaßnahmen gegen Einbrüche ist es ohnehin, sich im entscheidenden Moment richtig zu verhalten: „Wir machen jährliche Schulungen für Raubüberfälle und die bringen wirklich was. Man sollte in solchen Situationen nicht den Helden spielen und einfach abgeben, was die wollen. Die Arzneimittel hatten zusammen einen Wert von 140 Euro – dafür riskiere ich doch niemandes Gesundheit!“
Auch ohne dass Holder oder eine ihrer beiden Mitarbeiterinnen die vermeintliche Heldin spielten, wurde der Räuber schnell gefasst: Aufgrund eines Zeugenhinweises wurde er identifiziert, er war bereits polizeibekannt. Kurz darauf durchsuchte die Polizei die Wohnung des gerade einmal 18-Jährigen. „Am Montag erhielt ich dann einen Anruf von der Polizei. In der Wohnung waren Medikamente gefunden wurden und dank Securpharm mussten sie mir nur die Seriennummern auf den Packungen durchgeben, um zu belegen, dass es sich um die bei uns geraubten Medikamente handelte.“ Er sitzt nun in der JVA und wird sich wegen schweren Raubes verantworten müssen. „Für uns ist der Raub gut ausgegangen, wir haben weder physisch noch psychisch Schäden davongetragen. Aber ich bin natürlich beruhigt, dass er verhaftet wurde, schließlich habe ich heute Nacht Notdienst.“
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