Mit ihrer Forderung „Liebe Apotheker, bitte mehr Mut zum Medikament“ handelte sich die Ombudsfrau der Berliner Zeitung, Karin Stemmler, Ende März lautstarken Protest aus der Apothekerschaft ein. Denn sie kritisierte, dass Medikamente oft bestellt werden müssten, während die Auslage mit „Diätkram und Faltenlotionen“ vollgestellt sei. Dr. Kerstin Kemmritz hat die Autorin in ihre Apotheke eingeladen und für Verständnis geworben.
Manche Texte erzeugten ein „verblüffendes Echo“, resümiert Stemmler in einem Artikel über ihren Apothekenbesuch. „Ganz und gar nicht amüsiert“, hätten die Apotheker auf ihre Alltagsbeobachtungen reagiert. Sie hätten sich an den Pranger gestellt gefühlt.
Stemmler hatte geschildert, wie sie in vier Apotheken versuchte, ein Rezept einzulösen – und die Arzneimittel jedes Mal bestellt werden mussten. Während die Medikamente fehlten, seien die Regale voller „Bonbons, Bitterschokolade, Babycreme, Pflege für die reifere Haut und 1000 Sorten Diätpülverchen“ gewesen. „Wann hat das nur angefangen, dass aus Apotheken Süßwarenläden und Kosmetikshops wurden?“, fragte die Autorin.
Auch Kemmritz sah den Artikel, wandte sich an Stemmler und erklärte: „Sie haben quasi in ein Wespennest gestochen.“ Sie erklärte, dass der Berufsstand auf die Situation keineswegs stolz sei, dass die Ursachen für die Entwicklung der Öffentlichkeit aber leider unbekannt seien. Das machte Stemmler neugierig und sie besuchte Kemmritz in ihrer Falken-Apotheke im Berliner Stadtteil Weißensee. Für Kemmritz war es ein schönes Erlebnis: „Frau Stemmler war sehr offen, freundlich und interessiert – aus der geplanten Stunde wurden drei Stunden“, erzählt sie.
Und Kemmritz beeindruckte die Autorin: „Die 50-jährige Apothekerin strahlt übers ganze Gesicht, wenn sie von ihrem Beruf erzählt“, schreibt Stemmler in einem aktuellen Beitrag. Kemmritz berate gern und freue sich, wenn sie für jemanden das Richtige gefunden habe, und liebe das Labor. „Dafür habe ich studiert und mein Staatsexamen abgelegt“, zitiert sie Kemmritz. Traurig sei, dass dies nicht entsprechend honoriert werde: An einem Töpfchen Salbe, das samt Prüfen, Auswiegen und Dokumentation bis zu einer Stunde dauere, verdiene sie gerade mal fünf Euro.
Kemmritz betont in dem Beitrag, dass sie lieber mehr von ihrem Wissen in den Alltag einfließen lassen würde, statt viel zu oft im Computer zu versinken. „Ich verstehe, wenn Patienten sauer sind, weil wir – mit dem Rezept in der Hand – minutenlang auf den Bildschirm starren, statt ihnen schnell die richtige Tablettenschachtel über den Tisch zu schieben und passende Einnahmehinweise zu geben“, sagt Kemmritz. „Aber wir müssen uns extrem konzentrieren, um keinen Fehler zu machen.“
Sie erklärte Stemmler die Rabattverträge und dass jede Krankenkasse andere Rabattpartner hat – und dass es nicht möglich ist, für 118 verschiedene Kassen die jeweiligen Medikamente auf Lager zu haben. Für das Gesundheitssystem sei es insgesamt gut, dass durch die Rabattverträge jährlich rund drei Milliarden Euro eingespart werden, sagt auch Kemmritz.
Fast noch ärgerlicher findet Kemmritz die wachsende Bürokratie und erklärt Stemmler am Beispiel des Arztstempels Nullretaxationen. „Wenn so ein Problem bei einer partnerschaftlich agierenden Kasse wie der AOK passiert, kann man das oft noch im Nachhinein klären“, so Kemmritz. Aber es gebe auch Kassen, wie etwa die DAK Gesundheit, die es darauf anlegten, Formfehler zu erkennen, um Kosten einsparen zu können.
Kemmritz wünscht sich mehr Freiheitsgrade, zum Beispiel, wenn ausnahmsweise ein anderes Medikament als das Rabattarzneimittel abgegeben wird: „Wozu haben wir studiert, wenn uns jetzt nicht zugetraut wird, eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen?“
„Apotheker wollen helfen und dafür geliebt und geachtet werden“, sagt Kemmritz über ihren Berufsstand. Apotheker würden nicht gern streiten und fielen auch nicht gerne unangenehm auf. Das müsse sich jedoch ändern, meint Kemmritz. Mit Kollegen hat sie im März die Webseite ohne-apotheker-fehlt-dir-was.de gestartet, auf der Anekdoten über den Alltag in Apotheken gesammelt werden. „Es soll auch positive Artikel geben, aber bislang sind die Kollegen vor allem dabei, ihren Frust abzuschreiben“, so Kemmritz. Inzwischen gibt es rund 40 Artikel, in denen „ganz normale Apotheker ihren Alltag beschreiben“.
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