Wenn deutsche Pharmazeuten in den USA in eine Apotheke gehen, prallen Welten aufeinander. Arzneimittel werden so beiläufig verkauft wie Tiefkühlerbsen oder Gummibärchen, in großen Familieneinheiten mit Plastikdeckel, Regalmeter für Regalmeter. Buy one, get one free! Dass auch Amerikaner einen Kulturschock erleben, wenn sie in Deutschland Arzneimittel benötigen, scheint schwer vorstellbar. In der New York Times hat eine Journalistin beschrieben, warum sie mit der Beratungsmentalität der deutschen Apotheker nicht zurecht gekommen ist.
Firoozeh Dumas ist Kolumnistin und schreibt für zahlreiche US-Zeitungen, darunter das Wall Street Journal, die L.A. Times und die New York Times. Ihr erstes Buch „Funny in Farsi“ wurde zum Bestseller. Seit zwei Jahren lebt die iranisch-amerikanische Autorin in München. Nun hat sie ein Erlebnis in ihrer neuen Heimat dokumentiert, das offenbar nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat: Nicht den Besuch im Biergarten, sondern ein aus pharmazeutischer Sicht ordentliches Beratungsgespräch in der Apotheke.
„Nehmen wir an, man hat eine oberpeinliche Erkrankung“, schreibt Dumas, und erklärt dann, wie es in den USA läuft: Man geht in den Supermarkt „Target“, vorbei an den Warenkörben, wo es alles für einen Dollar gibt. Im Apothekenbereich in der Nähe der Kundentoilette greift man sich das Medikament und schlendert weiter zu den Kassen, während man überlegt, welcher der zahlreichen verfügbaren Kassierer das Vergnügen haben soll, die Ware einzuscannen. Noch eine Packung Kaugummi oder die neuesten Kinderpflaster mit Disney-Prinzessinnen-Motiv, dann fragt der Angestellte: „Haben Sie heute alles gefunden, was Sie brauchen?“
Diese unverbindliche – von ihren Freunden in der neuen Heimat als „aufgesetzt“ bezeichnete – Freundlichkeit ist das, was Dumas auch in der deutschen Apotheke erwartet hätte. Denn wenn man wirklich Nachfragen hat, erklärt die Journalistin in ihrem Beitrag, dann sausten auch die US-Verkäufer. Ob sie dabei ihren Job hassten, erfahre man als Kunde dank des zuvorkommenden Verhaltens nie. So sei Amerika.
Vor kurzem sei sie gemeinsam mit ihrer achtjährigen Tochter nun in eine Apotheke in München gegangen, um Fußpilzcreme zu kaufen – für Dumas offenkundig eine peinliche Angelegenheit. Da sie kein Deutsch spreche, habe sie sich darauf verlassen, wie immer mit Händen und Füßen zu kommunizieren. Chicken Wings oder einen Kamm zu kaufen, habe damit bislang zuverlässig geklappt. Weil ihr der Versuch, Fußpilz pantomimisch darzustellen, dennoch schwierig erschien, habe sie – nur um sicherzugehen – vor dem Verlassen der Wohnung noch schnell das deutsche Wort „Fußpilz“ im Wörterbuch nachgeschlagen.
„I am looking for medicine for foot fungus“, habe sie zur Apothekenmitarbeiterin gesagt und leise hinzugefügt: „Fußpilz“. Aus ihrer Sicht hätte es das gewesen sein können. Umso irritierter war sie, als die gewissenhafte Apothekerin anfing, ihren Job zu machen.
„This is for you? Ist das für Sie?“ Die Apothekerin fragte laut nach und zeigte auf Dumas. Obwohl die Apotheke leer war, fühlte sich die Journalistin von soviel Indiskretion bloß gestellt. „Ihr Englisch war in Ordnung, die Lautstärkenregelung nicht so.“
Ihr erster Gedanke sei gewesen, die Erkrankung ihrer Tochter anzudichten. Da sie aber gar nicht auf die Idee gekommen war, sich im Vorfeld eine Ausrede zurecht zu legen, habe sie befürchtet, sich mit der spontanen Reaktion zu blamieren: „Aber Mama, ich habe keinen Fußpilz!“ Also habe sie die Sache kleinlaut zugegeben und sich gefragt, warum die Apothekerin das überhaupt wissen wollte.
Doch es kam noch schlimmer: Wie auf Kommando sei eine zweite Mitarbeiterin hinter dem HV-Tisch aufgetaucht. Sie sagte etwas zur ersten, diese antwortete etwas zurück. Das Gespräch der beiden habe „judgemental“ – voreingenommen – geklungen, schreibt Dumas.
Als die Tochter mit einer Übersetzung nicht weiterhelfen konnte, fragte die neu hinzu gekommene Apothekerin direkt: „Sie haben Fußpilz?“ Warum mischt sie sich ein, wunderte sich Dumas. Weder müsse noch wolle sie von zwei Apothekerinnen beraten werden.
„Ja“, antwortete Dumas noch einmal. Dann endlich griff die erste Mitarbeiterin zu einer kleinen Schachtel und sagte: „You use two times“. Sie hielt zwei Finger in die Luft. Zweimal anwenden. „Every day.“
„Wear socks, then wash socks“, fügte die Kollegin hinzu. Getragene Socken waschen. „In heißem Wasser“, sagte die erste Mitarbeiterin. „Aber nicht mit anderen Sachen“, ergänzte die zweite. „Getrennt“, wieder die erste.
„Mehr Wäsche. Was für ein Glück!“ Dumas fand ihre Kommentierung humorvoll, stellte aber fest, dass Lustigsein in Deutschland grundsätzlich nicht funktioniere: „Das ist, weil Sie Fußpilz haben“, erinnerte Nummer 1. „Ja, das ist so“, räumte Dumas noch einmal ein und bezahlte schließlich die Salbe und einen Lutscher, den sich ihre Tochter derweil ausgesucht hatte.
Als sie den „shame shack“, den „Ort der Schande“, verlassen habe, habe sie einen nostalgischen Stich verspürt und an die Target-Mitarbeiter gedacht. An deren Namen könne sie sich zwar nicht erinnern, aber an deren Ernsthaftigkeit. „I miss you“, schickte Dumas als Gruß an die Angestellten der Supermarktkette in den USA.
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