Landapotheken

Beinahe-Schließung: Der Engel aus der Stadt

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Berlin -

Geschlossen, weil sich kein Nachfolger findet: Schon kleinere Stadtapotheken haben es schwer, jemanden zu finden, der die Geschäfte weiterführt. Ungleich härter ist die Rekrutierung von Fachkräften auf dem Land. Als Apothekerin Evelyn Schulz-Geldmacher eine Filialleiterin wegbrach, stand ihre Apotheke am Venn im münsterländischen Burlo vor dem Aus. Hunderte Euro für Stellenanzeigen halfen nichts. Doch dann kam Volker Binner – er wollte unbedingt aufs Land, weil er weiß, was er daran zu schätzen hat.

Schulz-Geldmacher wird ihren Sommerurlaub 2017 noch lange in Erinnerung behalten. „Wobei es eigentlich gar kein wirklicher Urlaub war“, denkt sie zurück. „Denn meine damalige Filialleiterin überraschte mich mit ihrer Kündigung, kurz bevor das gesamte Team in die Betriebsferien ging.“ Ihr sei die Verantwortung zu viel geworden, sie würde gern weniger arbeiten, habe sie zur Begründung gesagt – und Schulz-Geldmacher damit in eine existentielle Krise gestürzt: „Eine Filialleitung kann man nicht einfach vertreten lassen, also brauchte ich zum 1. Oktober dringend eine neue Filialleiterin – war aber die zweite, dritte und vierte Augustwoche im Urlaub“, erinnert sie sich an die beschwerliche Zeit. Es war eine fast unlösbare Aufgabe. „Zum Glück hatte sich eine meiner Approbierten bereit erklärt, für drei Monate in die Bresche zu springen – aber eben nur interimsweise, damit wir die Apotheke nicht schließen müssen.“

Doch selbst diese drei Monate – eigentlich sogar weniger, wenn man die Feiertage zum Jahresende heraus rechnet – sind mehr als nur sportlich. Also legte Schulz-Geldmacher sich ins Zeug. „Ich habe da alle Register gezogen, auf allen Portalen inseriert, der Münsterland-Zeitung, sogar bei Ebay-Kleinanzeigen! Insgesamt habe ich rund 800 Euro nur für Stellenausschreibungen ausgegeben.“ Gebracht hat es: Nichts.

Zwei Angebote erhielt sie, die waren aber, vorsichtig ausgedrückt, fragwürdig: „Ein Bewerber hatte seine Approbation erst ein halbes Jahr, sprach nur gebrochen Deutsch, verlangte aber 80.000 Euro im Jahr, ein Auto und eine kostenlose Wohnung. Dafür versprach er, 80 Stunden pro Woche zu arbeiten. So lange hat die kleine Dorfapotheke gar nicht auf! Außerdem ist sie gar nicht rentabel genug, als dass ich ihm diese Summen überhaupt bezahlen könnte.“

Die zweite Bewerberin wirkte auf den ersten Blick tauglich: Eine alte Dame von über 70 Jahren, zumindest als Notlösung zur Überbrückung wäre das denkbar gewesen. Doch auch sie stellte dann inakzeptable Forderungen: „Unter anderem wollte sie, dass wir Notdienste erfinden, um noch mehr Geld für sie rauszuschlagen“, erinnert sich die Inhaberin. „Da hat mir mein Steuerberater gesagt: ‚Finger weg von Bewerbern, die nichts zu verlieren haben!‘“

„Du kannst alles aushalten, Ärger mit dem Großhandel, Vertragsverhandlungen“, resümiert sie, „aber Ärger mit dem Personal, der macht dich fertig.“ Noch dazu kam, dass sie die Zukunftssorgen diskret behandelt musste: „Wir hatten es schwer, die Schwierigkeiten geheim zu halten. Denn wenn sich rumgesprochen hätte, dass wir die Apotheke vielleicht schließen müssen, hätten sich viele schon anders orientiert – und dann wäre da noch mehr Umsatz weggebrochen.“

Doch tauchte quasi in letzter Minute Binner auf. Der 49-jährige Pharmazeut ist niemand, der mit halbseidenen Angeboten kommt oder aus Verzweiflung auf die Stelle angewiesen ist. Ganz im Gegenteil: Für ihn war das Angebot einfach genau das, was er wollte. „Ich habe schon nach dem Studium in Marburg mein praktisches Jahr in einer Landapotheke gemacht, danach aber immer in der Stadt gearbeitet. Ich wollte einfach zurück aufs Land“, sagt er. Hinzu kommt, dass er selbst aus der Region ist, er ist im Kreis Borken geboren und aufgewachsen, später ist er familiär bedingt wieder in die Region gezogen. Zuletzt war er Filialleiter in der Stadt Borken.

„Ich habe in der Zeit schon die Arbeit auf dem Land vermisst, vor allem die Kundennähe“, sagt er. Stadt bedeute Hektik und Anonymität. „Da muss es immer schnell gehen, man konnte kaum mal ein Gespräch führen, die Kundenbindung läuft da mehr über Preise und Zugaben als über die Beratung. Man muss günstig sein, aber die menschliche Ebene spielt eine viel kleinere Rolle.“ Dabei sei es eigentlich in der kleinen Dorfapotheke nicht einmal weniger stressig: „Hier sind wir zu zweit und müssen ja trotzdem alles regeln und alles bieten, was eine Apotheke zu bieten hat.“ Doch der entscheidende Punkt seien die Menschen: „Hier sind die Leute entspannter und offener. Ich bin noch kein Jahr hier, aber kenne schon alle mit dem Vornamen.“

Und dann ist da die Wertschätzung, die erhalte man auf den Land noch dafür, dass man die Arzneimittelversorgung sicherstellt. Alles recht weiche Faktoren, auf die ein individueller Bewerber auch Wert legen muss – was kann man also als Dorfapotheke tun, um gutes Personal zu finden? „Schwierig“, sagt Binner, „über den Verdienst kann man das nicht machen. Man könnte eventuell versuchen, den Nachwuchs langfristig zu fördern, der hier aus dem Ort kommt, um ihn da zu halten. Und wenn man ortsnah wohnt, ist natürlich auch die Arbeitszeit sehr attraktiv.“

Binner selbst ist zufrieden mit seiner Wahl und sieht seine Zukunft vor Ort. Ob er sich vorstellen könnte, die Apotheke eines Tages zu übernehmen? „Prinzipiell schon, aber das ist im Moment kein Thema.“

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