Bagatellen in der Notaufnahme: Jeder Zweite fordert Strafen APOTHEKE ADHOC/dpa, 09.09.2019 10:54 Uhr
Sollten Patienten Strafgebühren aus eigener Tasche zahlen, wenn sie zu oft Arztpraxen aufsuchen? Über diesen Vorschlag diskutieren aktuell Gesundheitsexperten in Deutschland. Geht es rein um eine Gebühr für die Inanspruchnahme der Notfallversorgung ist das Stimmungsbild der Deutschen dazu gespalten
Laut Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse sprechen sich 50 Prozent der Befragten für eine zusätzliche Gebühr aus, wenn Patienten mit Bagatellerkrankungen die Notaufnahmen blockieren. 48 Prozent sind dagegen, dass Versicherte zusätzlich zur Kasse gebeten werden, 2 Prozent haben keine Meinung dazu. Aus Sicht der KKH sollte medizinische Versorgung keine Frage des Geldbeutels sein. Einzelne Patienten sollten nicht für ihr Verhalten sanktioniert werden.
Laut der Umfrage würde mehr als jeder Dritte das Krankenhaus trotz geöffneter Praxen ansteuern – auch wenn er bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden Hilfe benötigt. Von denjenigen Befragten, die in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich mindestens einmal in der Notaufnahme waren, ging fast jeder Dritte innerhalb der Öffnungszeiten von Arztpraxen ins Krankenhaus – auf eigene Initiative, ohne Überweisung oder Rettungseinsatz. Unter den 18- bis 29-Jährigen hätte alternativ sogar fast jeder Zweite einen Haus- oder Facharzt kontaktieren können.
Als Grund gaben mehr als 40 Prozent der Notaufnahme-Nutzer an, dass sie sich im Krankenhaus medizinisch besser versorgt fühlen als in der Arztpraxis. Ein Viertel der Befragten wurde nach eigener Aussage vom Haus- oder Facharzt an die Notaufnahme verwiesen. Ebenfalls knapp ein Viertel führte als Grund an, dass Patienten dort ohne einen Termin Hilfe erhalten. 13 Prozent sagten, dass sie so kurzfristig keinen Termin in der Arztpraxis bekommen und deshalb die Notaufnahme aufgesucht hätten. Nur 12 Prozent gaben an, dass ihre Beschwerden in der Arztpraxis nicht behandelt werden (etwa Berufsunfälle, schwere Unfälle, Fälle für Notoperationen).
Die Umfrage zeigt laut KKH, dass in Deutschland bessere Steuerungskonzepte notwendig sind und die Qualität und Erreichbarkeit der ambulanten Behandlung Betroffene gar nicht erst dazu verleiten sollte, Notfallambulanzen wegen Bagatellerkrankungen aufzusuchen. Forsa hatte im Janaur 1003 Personen zwischen 18- und 70 Jahren repräsentativ befragt.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hatte am Wochenende eine Forderung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nach möglichen Strafzahlungen für Patienten scharf kritisiert: „Wie im Tollhaus geht es bei den hauptamtlichen Ärztefunktionären zu“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Jetzt soll das Recht eingeschränkt werden, seinen Arzt frei zu wählen.“
Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen hatte der Neuen Osnabrücker Zeitung gesagt: „Es kann dauerhaft kaum jedem Patienten sanktionsfrei gestattet bleiben, jeden Arzt jeder Fachrichtung beliebig oft aufzusuchen, und oft noch zwei oder drei Ärzte derselben Fachrichtung.“ Die Gesundheitskarte funktioniere wie eine Flatrate. Es gebe Patienten, die das gnadenlos ausnutzten.
Brysch kritisierte: „Das mag für maximale Patientenverunsicherung sorgen, ist aber nur heiße Luft.“ Es sei an der Zeit, dass sich die Verwaltung der Kassenärzten Vereinigungen auf ihren gesetzlichen Auftrag konzentrierten, nämlich die medizinische Versorgung der Patienten vor Ort. „Es ist hoch lukrativ, Arzt zu sein“, gab Brysch zu bedenken. Bereits die Praxisgebühr habe nicht dauerhaft für weniger Arztbesuche gesorgt, deshalb sei sie 2013 wieder abgeschafft worden, sagte Brysch. Wenn die Patienten tatsächlich nach Prioritäten gesteuert werden sollten, könne dies ohnehin nicht in die Hände der Ärzte gelegt werden, dies würde politische Entscheidungen erfordern.