Die Ausbildungsförderung für Studierende darf nicht niedriger sein als das Bürgergeld. Die Regelungen im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) im Jahr 2021 verstießen deswegen gegen das Grundgesetz. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden.
Eine jetzt 29 Jahre alte Medizinstudentin erhielt nach Antritt ihres Studiums an der Charité im Wintersemester 2016/17 antragsgemäß Ausbildungsförderung. Doch schon für das erste Studienjahr forderte sie vom BAföG-Amt mehr Geld und klagte vor dem Verwaltungsgericht. Wegen eines Parallelverfahrens ruhte der Fall; im Mai 2021 legte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Sache beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vor, das allerdings immer noch nicht entschieden hat.
Daher klagte die Medizinstudentin nunmehr auf höhere BAföG-Leistungen für das fünfte Studienjahr; sie macht weiterhin geltend, die für Studierende geltenden Bedarfssätze seien in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen.
Das Verwaltungsgericht legte die Sache nun ebenfalls dem BVerfG vor, weil aus seiner Sicht die BAföG-Regelungen zum Grundbedarf für Studierende sowie zum Unterkunftsbedarf für nicht bei den Eltern lebende Studierende mit dem verfassungsrechtlichen Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten nicht vereinbar seien.
Dieses Teilhaberecht verpflichte den Gesetzgeber, für die Wahrung gleicher Bildungschancen Sorge zu tragen und im Rahmen der staatlich geschaffenen Ausbildungskapazitäten allen entsprechend Qualifizierten eine Ausbildung oder Hochschulausbildung zu ermöglichen.
Dem hieraus folgenden Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderung habe der Gesetzgeber mit den BAföG-Regelungen zwar dem Grunde nach Rechnung getragen. Er habe jedoch mit der konkreten Festlegung der für 2021 geltenden Bedarfssätze für Studierende – sowohl mit dem Grundbedarf als auch mit dem Unterkunftsbedarf – die Gewährleistung eines ausbildungsbezogenen Existenzminimums verfehlt.
Die Höhe des Grundbedarfes von 427 Euro sei evident zu niedrig gewesen, weil sie signifikant niedriger gewesen sei als die Regelbedarfsstufe 1 bei Hartz IV (seit 2023: Bürgergeld) in Höhe von 446 Euro. Die Höhe des Unterkunftsbedarfs von 325 Euro sei ebenfalls evident zu niedrig gewesen, weil im Sommersemester 2021 bereits 53 Prozent der Studierenden monatliche Mietausgaben von 351 Euro aufwärts gehabt hätten, dabei knapp 20 Prozent zwischen 400 und 500 Euro sowie weitere rund 20 Prozent mehr als 500 Euro.
Zudem könne als Vergleichsmaßstab nicht ein Gesamtdurchschnitt der Unterkunftskosten im gesamten Bundesgebiet genommen werden, sondern nur ein Durchschnittswert der Unterkunftskosten am Studienort der studierenden Person oder jedenfalls an vergleichbaren Studienorten.
Die Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers finde bei der Gewährleistung des existenziellen und ausbildungsbezogenen Unterkunftsbedarfs von Studierenden jedenfalls dann eine verfassungsrechtliche Grenze, wenn – wie 2021 – die durchschnittlichen Unterkunftskosten Studierender im Vergleich der Bundesländer bis zu 140 Euro differieren (von 456 Euro in Hamburg bis 317 Euro in Thüringen), im Vergleich der einzelnen Hochschulorte sogar bis zu 230 Euro (von 495 Euro in München bis 266 Euro in Freiberg/Sachsen).
Außerdem beruhe die Festlegung der Bedarfssätze auf verschiedenen schwerwiegenden methodischen Fehlern. So habe der Gesetzgeber fehlerhaft als Referenzgruppe solche Studierendenhaushalte miteinbezogen, die lediglich über ein Einkommen in Höhe der BAföG-Leistungen verfügten. Mögliche Nebenverdienste der Studierenden und Kindergeld dürften ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Es müsse eine Differenzierung zwischen Kosten für den Lebensunterhalt und Kosten für die Ausbildung beziehungsweise zwischen Kosten der Unterkunft und Kosten für die Heizung erfolgen. Die Bedarfssätze müssten zeitnah an sich ändernde wirtschaftliche Verhältnisse angepasst werden. Diese Vorgaben seien hier nicht beachtet worden.
Da das Verwaltungsgericht als Fachgericht nicht befugt ist, die Verfassungswidrigkeit eines Parlamentsgesetzes selbst festzustellen, hat die 18. Kammer das Verfahren ausgesetzt und die Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt.
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