Weil eine Patientin dringend mit Hilfsmitteln versorgt werden musste, gab Timo Ried, Inhaber der Engel-Apotheke in Ulm, eine Bestellung bei AbbVie auf. Die Patientin selbst bestand auf eine Belieferung durch die Apotheke ihres Vertrauens. Das Problem: „Die Außendienstmitarbeiterin hatte bereits alle Patienten- und Verordnungsdaten aufgenommen und an AbbVie, aber auch an eine Versandapotheke weitergeleitet“, ärgert er sich. Denn: „Ein Außendienstmitarbeiter steht bereits am Krankenbett parat mit einem Formular über die Zuweisung an den Versand und holt eine Unterschrift ein.“
Eine Stammkundin benötigte dringend Hilfsmittel, um ihr verordnetes Präparat anwenden zu können. Verschrieben war Produodopa. „Das Medikament ist problemlos über den Pharma-Großhandel zu beziehen“, so Ried. Die Patientin wandte sich an ihre Apotheke: „Die Dame benötigte dafür sogenannte Applikations-Hilfsmittel“, erklärt der Inhaber. „Um sie ordnungsgemäß versorgen zu können, bestellten wir daraufhin bei AbbVie auf Rechnung.“ Produodopa wird zur Therapie von Parkinson eingesetzt.
„Im Vergleich zu den bereits vorhandenen Pumpen, welche den Wirkstoff über eine Sonde in den oberen Dünndarm infundieren, wird diese Pumpe über einen dünnen Infusionskatheter mit einer subkutanen Nadel verbunden, welche der Patient oder seine Betreuungsperson selbst anlegen und entfernen kann“, erklärt Ried.
„Für die drei Hilfsmittel, die zur Applikation des Arzneimittels in den Körper benötigt werden, hat AbbVie eigene PZN angemeldet“, so der Inhaber. „Allerdings nur mit Herstellerbezug.“ Will heißen: „Man ist als Apotheke gezwungen, diese bei AbbVie zu bestellen“, so Ried. Das mache große Probleme.
Bereits im Krankenhaus tauchte jedoch schon eine Außendienstmitarbeiterin auf: „Die Patientin, selber Ärztin, hatte Kontakt zur AbbVie-Care-Mitarbeiterin bei der Einweisung der Pumpe.“ Die Mitarbeiterin habe eine Menge Broschüren und auch Formulare präsentiert, „mit der Aufforderung, diese umgehend zu unterschreiben“. Was die Patientin bemängelt: „Die Außendienstlerin war richtig schlecht informiert über das Präparat. Zudem aber sehr fordernd in Bezug auf die Unterschriften.“ Insbesondere hinsichtlich des „ausschließlichen Bezugs aller zukünftigen Produodopa-Verordnungen und den dazugehörigen Hilfsmitteln bei der Versandapotheke“, so Ried.
„Es wird förmlich auf das Aufwachen des Patienten nach der OP gewartet, um eine Unterschrift einzufordern“, so der Apotheker. „Für uns stellt sich die Frage, warum die drei Hilfsmittel nicht genauso problemlos wie das Arzneimittel beim Großhandel bezogen werden können.“
Die Patientin verweigerte die Unterschrift: „Sie wollte mit den Arznei- sowie Hilfsmitteln ausdrücklich nur durch uns versorgt werden“, so der Inhaber.
Die eingegangene Bestellung wurde jedoch zurückgewiesen. Der Grund: „Da ich über einen längeren Zeitraum hinweg nicht bestellt hatte, forderte man nun plötzlich meine IK-Nummer sowie meine Betriebserlaubnis ein. Ich schickte beides umgehend an AbbVie, mit dem Hinweis, dass Patientin wirklich dringend die Hilfsmittel bräuchte.“ Abermals wurde geblockt: „Ich sollte mein Sepa-Lastschriftmandat erteilen, erst dann könne auch eine Belieferung erfolgen“, so Ried. Dafür benötigte AbbVie auch noch die Bestätigung der Bank: „Das verzögert natürlich zusätzlich den ganzen Bestellprozess“, ärgert er sich.
Parallel dazu habe er mehrfach versucht, das Unternehmen telefonisch zu erreichen: „Niemand ging ans Telefon. Aber innerhalb der automatischen Telefonansage wurde ich angewiesen, die 1 zu drücken, um zu bestellen. Dann hieß es aber, eine Bestellung könne nur schriftlich erfolgen. Das alles ist wenig erquicklich, vor allem nerv- und zeitraubend in solch einer dringlichen Situation“, ärgert er sich. Mehr noch: „Als ich endlich jemanden erreichte, wurde tatsächlich gefragt, warum ich diesen Aufwand überhaupt betreibe, ich könne schließlich einfach alles über die Versandapotheke laufen lassen.“
Für Ried ist klar: „Das ist genau abgesteckt und ein Schulterschluss zwischen Versandhandel und Industrie. Es ist gewollt, dass alles ausschließlich über diesen Vertriebsweg läuft, ohne Apotheke vor Ort.“ Ried hat sich jedoch davon nicht entmutigen lassen: „Ich bin hartnäckig geblieben, habe mehrfach auf die Dringlichkeit hingewiesen sowie den ausdrücklichen Wunsch der Patientin, nur von uns beliefert zu werden“, erklärt er. „Zudem steht über allem auch das Zuweisungsverbot. Es ist ein Unding, dass wir unsere Patienten mit so einer Masche an den Versandhandel verlieren“, so Ried.
Konkret heißt es: „Die Direktzuweisung von Rezepten durch Arztpraxen an Apotheken ist nicht erlaubt. Grundlagen sind § 31 Absatz 2 Musterberufsverordnung für Ärzte (MBO) und § 11 Absatz 1 Apothekengesetz (ApoG). Darüber hinaus gilt § 24 Absatz 2 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) – Einrichten einer Rezeptsammelstelle in einer Arztpraxis.“
„Den Bezugsweg für die öffentliche Apotheken zu erschweren und gleich zu Beginn der Therapie durch den eigenen Außendienst sowohl die Erstverordnung als auch alle folgenden Verordnungen per Abo an die Burg-Apotheke Königstein zu lenken, ist ein klarer Rechtsverstoß“, so der Inhaber.
Schlussendlich habe seine Hartnäckigkeit gesiegt: „Als ich gerade außer Haus war, hat mich ein Mitarbeiter versucht zu erreichen“, so der Inhaber. „Die Zustellung wurde für den folgenden Tag angekündigt. Ich hoffe, dass die dringend benötigten Hilfsmittel uns pünktlich erreichen werden“, so Ried.
AbbVie weist seinen Vorwurf zurück: „Wir respektieren die Apothekenwahlfreiheit und es entspricht nicht unserem Vorgehen, Patient:innen anderweitig zu beeinflussen“, heißt es von einer Sprecherin.
Und weiter: „Patient:innen, die bei AbbVie Care eingeschrieben sind, können freiwillig den Service einer Versandapotheke in Anspruch nehmen, zu deren Abwicklung aus datenschutzrechtlichen Gründen eine Unterschrift benötigt wird. Selbstverständlich können sie aber ihr Medikament und/oder ihre Hilfsmittel auch in ihrer Hausapotheke oder jeder sonstigen niedergelassenen oder Versandapotheke besorgen und dies für jede Verordnung neu entscheiden.“
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