Patient mit Alpha-Liponsäure vergiftet

Ausleitungstherapie: Arzt muss 15.000 Euro zahlen

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Berlin -

Im August 2017 mussten in einer Klinik in Leipzig parallel fünf Patienten mit schweren Vergiftungserscheinungen intensivmedizinisch behandelt werden – allesamt hatten sie sich zuvor in einer „Praxis für Ganzheitsmedizin & Prävention“ einer Ausleitungstherapie mit Alpha-Liponsäure unterzogen. Einer von ihnen verklagte später den Arzt und bekam zwar nicht die geforderten 300.000 Euro, aber immerhin 15.000 Euro als Schadenersatz zugesprochen.

Der Patient hatte sich wegen Erschöpfungssymptomen mit Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen sowie allgemeiner Unruhe bei dem Arzt in Behandlung begeben. Er hatte es zunächst mit Eisenpräparaten versucht, ließ sich aber von dem Allgemeinmediziner mit Spezialisierung auf Umweltmedizin und Homöopathie zur Durchführung eines sogenannten Provokationstests bewegen. Da dabei eine Schwermetallbelastung diagnostiziert wurde, wurde ihm geraten, sich einer „Ausleitungstherapie“ zu unterziehen.

Noch am Abend nach der Behandlung musste er in die Notaufnahme, wo er zunächst unter Verdacht auf Leukämie behandelt wurde. Später vermuteten die Ärzte eine schwere Thrombozytopenie mit mittelgradiger Leberschädigung. Da aber im gleichen Zeitraum fünf weitere Patienten mit gleichartigen Symptomen behandelt wurden, die sich ebenfalls in der Praxis einer Ausleitungstherapie unterzogen hatte, wurde die Kriminalpolizei eingeschaltet. Im Rahmen der Ermittlungen wurde ein toxikologisches Gutachten erstellt, das die Vergiftungserscheinungen auf überhöhten Mengen von Alpha-Liponsäure zurückführte, die bei der Behandlung in der Praxis verabreicht worden war.

Vor Gericht warf der Patient dem Arzt vor, ihn nie ordnungsgemäß über die Risiken der Ausleitungstherapie aufgeklärt zu haben. Die Behandlung selbst sei grob fehlerhaft erfolgt: Sie habe nicht dem internistischen Facharztstandard entsprochen, die verabreichte Lösung sei grob verunreinigt, und die Alpha-Liponsäure sei erheblich überdosiert gewesen. Dadurch habe er einen lebensbedrohlichen Zustand mit Dauerfolgen erlitten, wegen derer er immer noch berufsunfähig sei.

Keine Aufklärung über Risiken

Nachdem schon das Landgericht Leipzig zugunsten des Patienten entschieden hatte, bestätigte jetzt das Oberlandesgericht Dresden die Entscheidung: Die Grundaufklärung nach § 630 h Abs. 1 BGB sei nur dann erteilt, wenn dem Patienten ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt werde, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen könnten. Dazu gehöre in aller Regel auch ein Hinweis auf das schwerste in Betracht kommende Risiko, das dem Eingriff spezifisch anhafte.

Das gelte auch für alternativmedizinische Verfahren: „Beabsichtigt der Behandelnde, den Patienten beispielsweise einer homöopathischen Behandlung zu unterziehen, so hat er ihn nicht nur unmissverständlich darüber zu informieren, dass er damit von der (faktischen) Standardbehandlung der Schulmedizin abweicht, sondern auch, warum er dies tut und welche Vor- und Nachteile der Patient hieraus zu erwarten hat.“

Beim Provokationstest und der Ausleitungstherapie handele es sich um „Außenseitermethoden“, bei denen es – anders als bei „Neulandmethoden“ – nicht an Evidenz fehle, sondern bei der es gerade aufgrund bestehender wissenschaftlicher Erkenntnis und der ärztlichen Erfahrung keine professionelle Akzeptanz gebe.

Insofern hätte der Patient nicht nur über die Risiken und die Gefahr eines Misserfolges aufgeklärt werden müssen, sondern auch darüber, dass der geplante Eingriff nicht medizinischer Standard und seine Wirksamkeit statistisch nicht abgesichert sei. „Der Patient muss wissen, worauf er sich einlässt, um abwägen zu können, ob die Risiken einer Behandlung und deren Erfolgsaussichten im Hinblick auf seine Befindlichkeit vor dem Eingriff eingehen will.“

Türschild reicht nicht

Dass der Arzt selbst zugegeben habe, eine Abgrenzung zur Schulmedizin im Einzelnen nicht vorgenommen zu haben, weil dies seinen gut informierten Patienten schon klar sei, wog laut Gericht umso schwerer: „Gerade weil der Beklagte auch approbierter Schulmediziner und Facharzt ist, konnten und können seine Patienten aus dem Hinweis auf dem Türschild gerade nicht schließen, dass und in welchem Falle sie in der Praxis des Beklagten schulmedizinisch oder alternativmedizinisch behandelt werden. Dies gilt insbesondere für den Kläger, der gerade nicht eine ausschließlich alternativmedizinische, sondern nach insoweit unbestrittenen Angaben vor dem Landgericht sinngemäß eine ganzheitliche Behandlung suchte.“

Auf seiner Website wurde nicht nur mit „höchster Zuverlässigkeit“ des Provokationstests geworben, sondern auch behauptet, dass „konventionelle Mediziner“ die Ausleitung deswegen denunzierten, weil sie weiter Geld mit Medikamenten verdienen wollten.

Beides sah das Gericht als Irreführung: Einerseits ließen sich laut dem hinzu gezogenen Sachverständigen mit modernen Methoden auch bereits geringste Schwermetallmengen im Körper mittels einer simplen Blutprobe detektieren, sodass es einer Mobilisierung dieser Elemente überhaupt nicht bedürfe. Andererseits werde die Chelattherapie nicht nur deswegen abgelehnt, weil sie wissenschaftlich nicht abgesichert sei, sondern auch weil die verwendete Alpha-Liponsäure dafür sorge, dass etwaige Schwermetallverbindungen aufgelöst würden, sodass die Gefahr einer Diffundierung in auch bislang nicht betroffene Organe und Körperregionen bestehe.

Nur Primärschäden nachgewiesen

Wegen der fehlenden Aufklärung hafte der Arzt für die unmittelbar verursachte Thrombozytopenie, die akute schwere Leberschädigung, den Aufenthalt auf der Intensivstation und die durchlittene lebensgefährliche Situation. Dass es wegen Überwindung der Blut-Hirnschranke zu einer posttraumatischen Belastungsstörung und damit einhergehender dauerhafter Berufsunfähigkeit gekommen sei, lasse sich jedoch nicht nachweisen. Für diese Sekundärschäden trage der Betroffene die Beweislast, aus den Aussagen lasse sich nichts ableiten. Noch nicht einmal von einer „validen“ Beschwerdeschilderung sei auszugehen.

Insofern sei das Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro angemessen. Dies diene einerseits als Ausgleich für erlittene Schmerzen, Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, Verletzungen der körperlichen Integrität, die vorübergehende oder die dauernde Einbuße an Lebensfreude, andererseits als Genugtuung für das erlittene Geschehen. Das Landgericht habe entsprechend den siebentägigen Krankenhausaufenthalt, die Lebensgefahr, das Erduldenmüssen einer verständlicherweise beängstigenden Verdachtsdiagnose der Leukämie, den Aufenthalt auf der Intensivstation und die Leberschädigung berücksichtigt. Eine Erhöhung dieses Betrages unter Genugtuungsgesichtspunkten komme nicht in Betracht.

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