Schließung

Aus für profitable Landapotheke Torsten Bless, 19.05.2018 08:43 Uhr

Berlin - 

Ihr gesamtes Berufsleben als PTA und Pharmazeutin hat Christiane Karge in der Adler-Apotheke verbracht. Zum 31. Mai muss sie ihren eigentlich profitablen Betrieb im sauerländischen Kierspe schließen, weil sich auch nach langem Suchen kein Filialleiter finden ließ und ein hoch dotierter Liefervertrag gekündigt wurde.

„Ich habe hier 1986 als PTA in der Adler-Apotheke angefangen und auch hier in Teilzeit weitergearbeitet, als ich drei Jahre später mein Pharmaziestudium antrat“, erzählt Karge. „Das Studium hat dadurch länger gedauert als es die Regelzeit vorsieht.“ Die Approbationsurkunde in der Tasche wechselte sie 1996 gleich in eine Vollzeitstelle als angestellte Apothekerin. Kurze Unterbrechungen gab es 1997 und 2000 nur zur Geburt ihrer beiden Kinder.

Im Jahr 2010 schmiss ihr Chef die Brocken hin. „Die stets zunehmende Bürokratie, Präqualifizierung und QMS wurden ihm zu viel“, erinnert sich Karge. „‘Ich geh jetzt‘, sagte er zu mir. ‚Wollen Sie die Apotheke übernehmen oder soll ich mich nach einem anderen Käufer umsehen?‘“ Die Pharmazeutin beriet sich lang mit ihrem Ehemann Axel. „‘Du machst das jetzt‘, sagte ich mir dann und stürzte mich in das Abenteuer Apothekenleitung. Wann hat man schon mal die Chance, einen gut gehenden Betrieb zu übernehmen, in dem man auch noch bestens bei den Kunden bekannt ist?“

Drei Jahre später konnte unangenehme Konkurrenz gerade noch verhindert werden. „250 Meter weiter entstand ein neues Einkaufszentrum, hier sollte auch eine Apotheke eröffnen“, so Karge. „Ich ließ mich breit schlagen, das selbst zu übernehmen. Eigentlich wollte ich die Adler-Apotheke modernisieren. Stattdessen startete ich in der neuen Apotheke am Wildenkuhlen gleich mit einem Kommissionierautomaten und einer großen Sichtwahl durch.“ Es habe seine Zeit gebraucht, hier einen Kundenstamm aufzubauen. „Mit der Zeit ist es uns das gelungen, ohne dass Kunden in der Adler-Apotheke ausblieben.“

Ganz allmählich jedoch erodierte das Fundament der Stammapotheke. Zuerst wurde noch ein vom alten Chef geschlossener Liefervertrag mit einem Seniorenzentrum nach langen Jahren guter Zusammenarbeit gekündigt. „Die Zentrale schrieb der Einrichtung vor, dass sämtliche Medikamente künftig verblistert werden mussten. Das konnten wir nicht mehr leisten. Sie haben dafür jetzt eine Apotheke in Wermelskirchen gefunden.“ Dann starb der nächst gelegene Arzt. „Die Kinder versuchten, einen Nachfolger für die Praxis zu finden, aber das klappte nicht.“

Zum Drama entwickelte sich die Suche nach einer qualifizierten Filialleitung. „Ich hatte zunächst eine Kollegin hier aus Kierspe eingestellt. Das lief gut, bis sie im Frühjahr letzten Jahres eine zum Verkauf stehende Apotheke am Ort übernahm“, so Karge. „Sie hatte eine sehr, sehr lange Kündigungsfrist, ich dachte, da kann ich mir in Ruhe einen Nachfolger suchen. Ich suchte. Und suchte.“ Gemeinsam mit ihrem Mann schaltete sie Anzeigen in allen Fachmedien, bemühte Arbeitsvermittlungen und Headhunter, hängte Zettel an den umliegenden Unis aus. Alles vergebens. Schließlich fand sich eine syrische Kollegin, die gerade ihr Praktikum beendet und ihre Prüfung bestanden hatte. Zum 1. Juli 2017 musste sie anfangen. „Doch ihre Approbationsurkunde ließ auf sich warten“, schildert Karge. „Erst als ich selbst Druck beim Prüfungsamt machte, kam gerade noch rechtzeitig die abfotografierte Urkunde bei uns an.“

Von Anfang an sei klar gewesen, dass dies nur eine Lösung auf Zeit war, sagt Karge. „Sie wohnte im 90 Kilometer entfernten Königswinter, hatte zwei kleine Kinder und war verständlicherweise nicht sehr begeistert über die ständige Fahrerei.“ Zudem habe sie nur an jedem zweiten Samstag im Monat arbeiten wollen. „Die Restversorgung konnte ich nicht auch noch sicherstellen.“ Notgedrungen stellte Karge einen Antrag bei der Kammer, die Adler-Apotheke Samstags ganz zu schließen. „Da ging ein Sturm der Entrüstung durch die Stadt. Doch wenn es eine Kontrolle gegeben hätte und dabei herausgekommen wäre, dass kein Pharmazeut da ist, wäre die Apotheke von Amtswegen ohnehin geschlossen worden.“

Zum 31. Mai wollte die Filialleiterin wieder aufhören. Schon im September davor begann Karge erneut auf die Suche nach einer Nachfolgerin zu gehen. „Darauf meldete sich ein syrisches Ehepaar, beides Apotheker, sie machten gerade ein Praktikum zur Anerkennung ihrer Ausbildung. Einer von ihnen sollte die Prüfung ablegen, um dann rechtzeitig zum 1. Juni die Apothekenleitung zu übernehmen“, sagt Karge. Da die Frau schwanger wurde, fiel das Los auf ihren Gatten. „Er lernte wie ein Irrer und fiel dann doch im März durch die Prüfung. Zunächst bekamen wir die Auskunft, dass er sie irgendwann im Mai, Juni oder Juli wiederholen könnte.“ Sie habe dann selbst beim Prüfungsamt angerufen: „‘Leute, ich muss die Kiste schließen, und dann verlieren alle Mitarbeiter ihren Job, wenn der Mann die Prüfung nicht bald noch einmal ablegen kann‘, sagte ich.“ Half nichts: „Frühestens im September oder Oktober sei der nächste Termin, bekamen wir schriftlich mitgeteilt.“

Verzweifelt gingen die Karges auf eine letzte Suche. Sie waren beileibe nicht die Einzigen: „Allein im Bereich unserer Apothekerkammer Westfalen-Lippe suchten vor zwei Wochen 169 Apotheken nach Approbierten, aber nur 13 sahen sich nach einer Stelle um. Zwei Kandidaten suchten bundesweit, eine sogar gezielt im ländlichen Raum, aber beide haben sich auf unsere Nachricht noch nicht einmal zurückgemeldet.“

Damit brach für Karge eine Zeit der (auch emotional) harten Entscheidungen an. „Gerade erst hatte ich die Computeranlage auf dem neuesten Stand gebracht und Kalender für das nächste Jahr bestellt, aus dem langfristigen Mietvertrag komme ich auf Jahre nicht heraus. Aber dennoch blieb mir doch nichts anderes übrig, als die Adler-Apotheke zum 31. Mai zu schließen“, sagt sie. „Hier ist der Investionsrückstau am größten. Ein potenzieller Käufer hätte ob der Ausstattung die Hände über den Kopf zusammengeschlagen. Die Apotheke am Wildenkuhlen dagegen ist technisch wesentlich moderner.“

Noch stärker an die Nieren ging der Doppelbesitzerin das Schicksal ihrer Mitarbeiterinnen. „Wenn mir der Liefervertrag mit dem Seniorenzentrum nicht gekündigt worden wäre, hätte ich den Betrieb in der anderen Apotheke umstrukturieren und alle Angestellte mitnehmen können“, sagt Karge. „So konnte ich nur eine PTA und PKA weiter beschäftigen.“ Die Auswahl sei ihr sehr schwer gefallen. „Ich entschied mich für zwei Mitarbeiterinnen, die sich in ihrer Zeit bei mir immer wieder fortgebildet und spezialisiert hatten.“

Der Tag, an dem sie die Unterschrift unter sieben Kündigungen setzen musste, sei besonders hart gewesen. „An dem Vormittag bin ich komplett zusammengeklappt und konnte erst mal nicht arbeiten.“ Die Betroffenen hätten sich verständlicherweise überfahren gefühlt. „Eine von ihnen ist schon seit 20 Jahren im Betrieb. Eine andere hatte ich erst Ende letzten Jahres eingestellt, sie verliert jetzt schon zum dritten Mal in einem Jahr ihren Job, weil ihre Apotheke schließt.“ Die meisten arbeiten in Teilzeit. „Aber auch sie müssen ihren Beitrag zum Familieneinkommen leisten und sind auf das Geld angewiesen.“

Der Countdown läuft für die Adler-Apotheke. „Ich habe Bauchschmerzen und schlaflose Nächte“, bekundet ihre Besitzerin. „Beide Apotheken für sich sind wirtschaftlich stark, dass sie sich tragen. Wir haben hier genug zu tun. Für den Kunden ist die Schließung nicht so ohne Weiteres vermittelbar. Und auch ich wollte die Adler-Apotheke nicht zumachen, sie ist mein Lebenswerk, ich habe hier viel Herzblut investiert. Aber der Betrieb muss bis zum Schluss weitergehen, ich kann ja nicht die ganze Zeit heulend am HV stehen.“ Deutliche Worte richtet sie an die Politik: „Da entscheiden Leute über unser Schicksal, die keine Ahnung haben. Ihnen ist nicht bewusst, dass das Apothekensterben nicht die Städter, sondern vor allem die Menschen auf dem Dorf trifft.“