Doppelte Odyssee: Erst floh er aus dem Südsudan über Kairo nach Prag, wenige Jahre nach seiner Rückkehr verschlug es ihn über Kampala ins hessische Idstein. Kong James Gatluak hofft, in der Christophorus-Apotheke die Basis für eine Zukunft als Pharmazeut zu schaffen.
Aus seinem Land fliehen zu müssen, war für Kong James Gatluak keine neue Erfahrung. Von 1983 an kämpfte der Südsudan um eine weitgehende Autonomie vom Sudan. Gatluak ging nach Kairo und erhielt von der tschechischen Regierung ein Stipendium für das Pharmaziestudium an der Karls-Universität Prag. „Als 2005 ein Friedensvertrag ausgehandelt wurde, ging ich zurück“, erzählt er. „Vielleicht kehrt jetzt Ruhe ein, dachte ich mir, vielleicht braucht mein Volk meine Hilfe.“
Im Jahr 2011 machte eine Volksabstimmung den Südsudan zum jüngsten unabhängigen Staat auf dem afrikanischen Kontinent. Doch schon zwei Jahre später brach erneut ein Bürgerkrieg aus. „Es begann als politischer Konflikt zwischen Präsident Salva Kiir Mayardit und seinem Stellvertreter Riek Machar“, erläutert Gatluak. „Der Vizepräsident wollte politische Reformen einleiten, die Korruption und soziale Ungerechtigkeit im Land bekämpfen.“ Dagegen habe sich der Präsident gesträubt und einen Militärputsch inszeniert. „Der Vize musste das Land verlassen.“ Aus dem politischen Streit erwuchs ein Bürgerkrieg. Die Dinka, dem der Staatschef angehörte, kämpften gegen die Nuer, zu denen sein geflohener Stellvertreter zählte.
Auch Gatluak ist Nuer. Seine Apotheke in der Hauptstadt Juba wurde bei Ausschreitungen zerstört. Er ließ sich nicht entmutigen und eröffnete gemeinsam mit einem Partner einen Großhandel. „Wir importierten pharmazeutische Bedarfsgüter aus Uganda, Kenia und Äthiopien und verkauften sie weiter an kleine Apotheken überall im Land.“
Doch Gewalt und Menschenrechtsverletzungen nahmen stetig zu. Vier Millionen Menschen flohen seitdem aus dem Südsudan. „Auch mir blieb keine Wahl, als außer Landes zu gehen“, sagt Gatluak. Erst verschlug es ihn mit seiner Familie in ein Flüchtlingscamp in Kampala, der Hauptstadt von Uganda, später nach Khartum, der Hauptstadt des Sudan.
Ein Schlepper brachte sie gegen Geld außer Landes. Doch anders als andere Flüchtlinge kam Gatluak am 29. September 2014 mit einem gültigen Visum nach Deutschland. „Ich hatte eine Zulassung für einen Studienplatz in Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius in Idstein.“ Mit amtlichen Papieren ausgestattet, gelang es ihm, seine Frau und seinen kleinen Sohn ins Land zu holen. Seine Eltern, seine Schwester und sein Bruder müssen in Kampala ausharren. „Ab und zu kann ich mit ihnen telefonieren, die Zustände im Camp sind verheerend.“ Entferntere Verwandte sind noch immer in Juba.
Heute lebt Gatluak mit Frau und Kindern in Idstein. „Die Lebensweise in Deutschland unterscheidet sich schon sehr vom Südsudan. Bis jetzt ist das Leben hier angenehm, geradezu perfekt. Alles hat hier seine Ordnung, ist gut organisiert“, schwärmt er. „Die Menschen sind sehr hilfsbereit.“
Anders als geplant schaffte es Gatluak in seinem Studium nur zum Post-Graduate. „Mein Partner überwies mir immer noch anteilige Einnahmen aus unserem gemeinsamen Geschäft. Doch dann kam nichts mehr, er war wie vom Erdboden verschwunden.“ So konnte Gatluak die Gebühren für den Master nicht mehr aufbringen.
Erst im letzten Jahr gab Gatluak die Hoffnung auf, bald in die Heimat zurückkehren zu können. Im Oktober 2016 beantragte er Asyl, im Juli hatte er seine Anhörung. Auf der Suche nach einer Lebensgrundlage nahm der evangelische Christ Kontakt zum Diakonischen Werk auf. Die Mitarbeiter führten intensive Gespräche mit der örtlichen Flüchtlingshilfe und den Behörden in Bad Schwalbach und Wiesbaden. Die evangelische Gemeinde vermittelte den Kontakt zu Christoph Huskamp, dem Inhaber der Christophorus-Apotheke.
„Gemeinsam haben wir uns überlegt, welche Möglichkeiten es für Gatluak gibt“, erzählt Huskamp. „Zunächst haben wir beschlossen, ihn in der Warenwirtschaft einzusetzen. Seit zwei Monaten arbeitet er an jedem Montag, Dienstag und Donnerstag von 9 bis 13 Uhr in der Offizin und hinter den Kulissen. „Wenn eine Lieferung eingetroffen ist, dann bestücke ich den Kommissionierautomaten“, erzählt Gatluak. „Ich vergleiche die Preise, schaue, ob alle Medikamente in Ordnung sind, zähle und lagere sie.“
Ein unglaublich engagierter Mensch sei sein neuer Mitarbeiter, schwärmt Huskamp. „Seine Deutschkenntnisse sind schon sehr, sehr gut und werden täglich besser. In der Apotheke arbeitet er ausschließlich auf Deutsch.“ Das derzeitige Tätigkeitsfeld sei etwas unter Gatluaks eigentlichen Qualifikation, räumt Huskamp ein. „Doch dabei prägt er sich die Namen der Medikamente, ihre Optik und Anwendungsbereiche ein.“
Wenn er darin etwas sicherer sei, plane man, ihn in der Beratung von arabisch sprechenden Flüchtlingen einzusetzen. „Dazu wollen wir irgendwann gezielt die Flüchtlingsinitiativen ansprechen.“ In etwa einem Jahr sei Gatluak so weit, seine Deutsch-Prüfung abzulegen, schätzt Huskamp. „Dann kann er beantragen, dass seine tschechische Approbation auch in Deutschland anerkannt wird.“
Gelingt dies, ergebe sich eine Win-Win-Situation. „Auf dem Land gibt es keinen Überschuss an Apothekern, es ist schwierig, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Wenn wir auf diesem Weg hochqualifizierte Flüchtlinge integrieren, können wir alle nur profitieren.“ Auch Gatluak kann sich das gut vorstellen: „Gerne würde ich als Apotheker hier in der Gegend arbeiten.“
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