„Aufzuhören ist schwerer als neu zu gründen“ APOTHEKE ADHOC, 03.11.2018 08:41 Uhr
Im hessischen Dorheim geht Ende des November eine Ära zu Ende und es ist ein trauriger Abschied: Nach fast 40 Jahren schließt die Germania-Apotheke von Dr. Georg Rumbaur ihre Pforten. Er hätte gern einen Nachfolger gefunden, doch das geben die Bedingungen nicht mehr her. Und mit 75 Jahren muss es auch mal gut sein, sagt er.
Eigentlich könnte Rumbaur schon seit zehn Jahren den wohlverdienten Ruhestand genießen – und erstklassige Möglichkeiten dazu hätte er, schließlich hat er eine Menge gute Freunde in Italien, wo er viel Zeit verbringt. Wieso also noch die tägliche Pflicht? „Die Abwechslung hat‘s gemacht“, sagt er. „Ich bin ja viel in Italien und hab mich dann immer nach einer Weile wieder auf die Apotheke gefreut. Wenn dann hier der Frust kam, bin ich wieder nach Italien gefahren. Das hat mich die letzten Jahre aufrechterhalten.“
Ewig geht das aber auch nicht. „Mit 75 muss auch mal Schluss sein. Man sollte aufhören, solange man geistig und körperlich noch voll auf der Höhe ist“, sagt er, der einst in Marburg bei Professor Dr. Horst Böhme promovierte, dem Herausgeber des Deutschen Arzneibuchs. Deshalb fasste er den Beschluss, dass es jetzt reicht – und das war keine leichte Entscheidung. „Aufzuhören ist schwerer als neu zu gründen“, befindet er. Wenn man sich selbstständig mache, habe man noch Elan und Ambitionen, man blicke hoffnungsvoll in die Zukunft. „Jetzt muss man vor allem alte Verträge durchwälzen und schauen, dass man alles fristgerecht kündigt. Das ist schon anstrengend.“
Und dann ist da natürlich der emotionale Aspekt. Denn Rumbaur schließt seinen Betrieb nicht aus freien Stücken; einen Nachfolger zu finden, wäre ihm lieber gewesen. „Ich habe bis zum Sommer gebraucht, damit fertig zu werden, dass es aus ist“, sagt er schwermütig. „Ich hatte das damals so nicht geplant, sondern gehofft, dass es etwas für die Zukunft ist.“ Damals, das ist 1979, als Rumbaur ein verwinkeltes Ladengeschäft auf einer Häuserecke übernahm, das einst einen Edeka-Markt beherbergte.
Die Lage war gut, mitten an der Dorheimer Ortsdurchfahrt, dazu zwei Hausarztpraxen im Dorf. Rumbaur machte eine eigene Standortanalyse, zog aber trotzdem noch eine Beraterfirma hinzu. Die Umsätze, die er schließlich machte, übertrafen dann beide Einschätzungen. So ging das viele Jahre, doch dann wurde es Schritt für Schritt immer schwieriger.
Erst schloss eine der beiden Hausarztpraxen im Ort, Rumbaur spürte das an den ausbleibenden Patienten. Dann kam noch der Bau einer Umgehungsstraße hinzu. Damit sanken die Verkehrsfrequenz und die Zahl der Kunden, die auf Durchreise sind, erheblich. Zu schlechter Letzt folgte dann noch 2016 eine monatelange Baustelle, die die Kundenzahl noch einmal drosselte. Auch die Perspektive ist nicht gerade gut: „Der verbleibende Arzt ist auch schon 67. Wer weiß, ob der einen Nachfolger findet.“
Und da sind die strukturellen Faktoren noch gar nicht mit berücksichtigt. „Es wird ja allgemein nicht leichter in der Branche“, klagt Rumbaur. Er gibt nicht nur dem zunehmenden Onlineversand eine Schuld am wirtschaftlichen Niedergang der Apotheke vor Ort, sondern auch dem Wandel des Arzneimittelmarktes. „Vor allem in den letzten zwei, drei Jahren bediene ich hier zunehmend hochpreisige Rezepte“ erklärt er. „Das ist ja nur noch Geldwechseln, da bleibt nichts hängen.“
Auch das Objekt selbst sei wenig attraktiv, gibt er zu bedenken. „Es ist ein altes Haus, in dem es im Sommer zu heiß und im Winter zu kalt ist. Ein Umbau inklusive Klimaanlage wäre zu teuer – das ist weder für eine Neugründung, noch für eine Filiale interessant.“ Die kalten wirtschaftlichen Zahlen ändern aber nichts daran, dass eine solche Schließung für eine kleine Gemeinde bedeuten kann. Schließlich ist der Apotheker im Ort eine Autorität in Gesundheitsfragen, was vor allem für ältere Menschen von Bedeutung ist. „Wir kriegen jeden Tag mit, dass es den Leuten leid tut, dass wir schließen“, sagt er. „Ich habe Kunden gehabt, die standen hier und haben geweint.“
Eine Frau habe ihm kürzlich die besondere Bedeutung der Dorfapotheke erklärt: „In der Stadt wird man nur abgefertigt.“ Bei Rumbaur in der örtlichen Apotheke gebe es dagegen noch ein persönliches Vertrauensverhältnis. Immerhin trägt er durch eine Übereinkunft mit einem befreundeten Apotheker Sorge für die zukünftige Arzneimittelversorgung im Ort. Der kauft ihm das Warenlager ab und übernimmt die Betreuung der Arztpraxis.
Ab dem 1. Dezember lässt Apotheker Kai-Uwe Wenke von der Apotheke am Bahnhof in Friedberg zweimal wöchentlich Rezepte in der Arztpraxis abholen und liefert zweimal wöchentlich nach hause – alles nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Patienten, wie Rumbaur betont. Und er selbst? „Ich bin gern viel draußen und habe große Grundstücke, auf denen es viel zu tun gibt“, sagt er. Erstmal zieht es ihn aber wieder nach Italien. „Meine italienischen Freunde haben mir schon vor Jahren gesagt, ich solle die Apotheke aufgeben und dahin ziehen“, erzählt er. Ganz so weit soll es dann doch nicht kommen, auch wenn der Stiefel seine zweite Heimat ist, wie er sagt.