Arzneimittelspenden für Flüchtlinge – was geht? Julia Pradel, 29.08.2015 09:47 Uhr
Kleidung, Decken, Kochutensilien, Spielzeug für die Kinder. Flüchtlinge, die es bis nach Deutschland geschafft haben, brauchen viel, auch Medikamente. Sobald die Asylbewerber registriert sind, haben sie Anspruch auf medizinische Versorgung – doch vorher sind sie auf Spenden angewiesen. Arzneimittel zu spenden ist jedoch nicht ganz unproblematisch; Apotheker müssen einiges beachten.
Besonders dramatisch ist die Situation der Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin. Dort warten zahlreiche Flüchtlinge mitunter tagelang darauf, registriert zu werden. Ihre Versorgung koordiniert inzwischen das LaGeSo, vorher hatte sich die Initiative „Moabit hilft!“ verantwortlich gefühlt. Sie hatte auch zu Arzneimittelspenden aufgerufen.
Für Apotheker gibt es allerdings Grenzen: Verschreibungspflichtige Arzneimittel beispielsweise sind tabu. „Arzneimittel unterliegen dem gesetzlichen Vertriebsweg“, erklärt Dr. Andreas Wiegand, Geschäftsführer der bayerischen Hilfsorganisation „Apotheker helfen“. Die ist in Deutschland noch nicht aktiv, unterstützt aber Flüchtlinge aus dem Südsudan und aus Syrien. Dabei arbeitet die Organisation mit dem Medikamenten-Hilfswerk „action medeor“ zusammen.
Verschreibungspflichtige Arzneimittel dürfen Apotheker nur auf bei Vorliegen einer ärztlichen Verordnung abgeben – sie anonym an eine Hilfsorganisation zu spenden, ist also prinzipiell nicht möglich. Eine Ausnahme sind Organisationen, bei denen Ärzte tätig sind, die Arzneimittel verordnen oder sogar direkt als Praxisbedarf beziehen können.
Doch selbst wenn ein Flüchtling mit einem Rezept in die Apotheke kommt, dürfen Apotheker kein Auge zudrücken – denn sie sind an die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) gebunden. Sie müssen also gegebenenfalls die Zuzahlung sowie etwaige Aufzahlungen kassieren.
OTC-Arzneimittel müssen zwar nicht verordnet werden und unterliegen keiner Preisbindung – unproblematisch sind Spenden aber trotzdem nicht. Denn auch bei der Selbstmedikation sind Apotheker laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verpflichtet, „festzustellen, ob das gewünschte Arzneimittel zur Anwendung bei der vorgesehenen Person geeignet erscheint“.
Am sinnvollsten ist es also tatsächlich, Geld an Hilfsorganisationen zu spenden. Diese können Arzneimittel entweder in Großpackungen zu oft günstigeren Preisen einkaufen oder Flüchtlinge direkt mit den benötigten Präparaten versorgen. In Hamburg gibt es beispielsweise die Initiative „Medikamentenhilfe für Menschen in Not“, die Arzneimittel für Patienten ohne Krankenversicherung zahlt.
Prinzipiell läuft die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in halbwegs geordneten Bahnen: Sobald sie bei einer Erstaufnahmestelle registriert sind, haben sie Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz: die Behandlung „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“. Die Kosten dafür trägt das zuständige Land oder die Kommune, in der die Flüchtlinge leben.
In der Praxis gibt es allerdings verschiedene Probleme. Um zum Arzt gehen zu können, brauchen Asylbewerber vielerorts einen Behandlungsschein der zuständigen Sozialbehörde. Dieser fungiert wie eine Kassenmitgliedschaft und berechtigt zu einem Arztbesuch.
Dieses komplizierte Verfahren ist aber vielen Flüchtlingen nicht bekannt, sodass oft ehrenamtlich tätige Ärzte die Versorgung übernehmen. Manchmal stellen Ärzte den Flüchtlingen auch nicht das nötige Kassenrezept mit der zuständigen Stelle als Kostenträger aus, sondern Privatrezepte. Dann müssen die Flüchtlinge die Arzneimittel zunächst aus eigener Tasche zahlen.
Um diesen Problemen zu begegnen hat der Kinderarzt Dr. Mathias Wendeborn in München den Verein Refudocs gegründet. Dieser betreibt Praxisräume auf dem Gelände der ehemaligen Bayern-Kaserne, in denen Ärzte regelmäßig ehrenamtlich eine Sprechstunde halten. Das Angebot der Refudocs sei sehr niedrigschwellig, so Wendeborn. Patienten bräuchten keinen Behandlungsschein vom Sozialamt, sondern könnten einfach kommen. Mit Hilfe von Dolmetschern können die Ärzte die Patienten direkt vor Ort beraten.
Von den Ärzten erhalten die Flüchtlinge jeweils nur die benötigte Menge eines Arzneimittels, sodass eine Packung für mehrere Patienten reicht. Auf den Namen des jeweils letzten Patienten wird dann eine neue Packung verordnet, die das Münchener Sozialreferat zahlt und die wieder für mehrere Patienten genutzt wird. Auf diese Weise sei das Angebot der Refudocs auch kostengünstig, erklärt Wendeborn.
In München sind nicht registrierte Flüchtlinge aus Sicht von Wendeborn kein großes Problem: Die Regierung habe ein neues Erstaufnahmezentrum errichtet, wo ein erstes Screening der Flüchtlinge durchgeführt werde. Wer ansteckende Krankheiten, Fieber oder Wunden habe, werde sofort versorgt. „Wir haben einen regen Zulauf, sind aber organisatorisch noch gut aufgestellt“, bewertet der Arzt die aktuelle Situation. Seit dem Frühjahr habe man die doppelte Zahl an Sprechstunden eingerichtet.
Die meisten Fälle, die die Refudocs behandeln, sind laut Wendeborn allgemeinärztliche Probleme wie Husten, Schnupfen oder Verstopfungen. Häufiger als im Praxisalltag sehen die Ärzte Hautwunden und wundgelaufene Füße sowie armutsbedingte Erkrankungen wie Krätze und Läuse.
Die Refudocs arbeiten auch mit Spenden, etwa von Pharmafirmen. „Ich finde das gut, solange es ärztlich gesteuert ist“, so Wendeborn. Schließlich spare das die Gesellschaft Geld. Der Kinderarzt hält es für sinnvoll, die Last auf allen Schultern zu verteilen. „Das hilft der gesamten Gesellschaft und beruhigt die aufgeregten Pegida-Leute.“
Wendeborn freut sich über gezielte Spenden, etwa Impfstoffe gegen Masern und Diphterie oder OTC-Arzneimittel – „über geschultes Personal und in Abstimmung mit dem Arzt“. Verschlossene und originalverpackte Arzneimittel würden die Refudocs auch von Privatpersonen entgegen nehmen.